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AUTISMUS SELBSTDIAGNOSE…JA ODER NEIN?
WAS IST SELBSTDIAGNOSE?
Selbstdiagnose bedeutet, sich selbst mit etwas zu diagnostizieren. Eine professionelle, offizielle, oder formale Diagnose bedeutet im Vergleich, dass ein Fachmensch jemanden diagnostiziert.
Selbstdiagnose kann, und wird, mit vielen Erkrankungen vollzogen. Die meisten Menschen haben sich beispielsweise in ihrem Leben schon einmal mit einer Erkältung selbstdiagnostiziert. Selbstdiagnose ist für die meisten Menschen Teil ihres Lebens – sie sind sich dessen nur nicht bewusst, weil manche Selbstdiagnosen in unserer Gesellschaft normalisiert und akzeptiert sind.
Autismus Selbstdiagnose bedeutet mehr als alles Andere, sich über Autismus zu informiere, zu recherchieren, und zu lernen.
Was ist Autismus? Wie zeigt sich autistisch zu sein innerlich und äußerlich? Was sind mögliche autistische Eigenschaften? Welche Eigenschaften muss man haben, um autistisch zu sein – und welche kommen unter autistischen Menschen häufig vor, sind jedoch nicht notwendig, um autistisch zu sein? Was sind mögliche Variationen in der Präsentation jeder autistischen Eigenschaft? Was sind häufige, gleichzeitig auftretende Diagnosen, die mit Autismus verwechselt werden können? Was sind die Klischees? Was ist Fehlinformation, veraltete Informationen, und unvollständige Informationen? Und wie passt du in all das hinein?
Alle Informationen, die jemand zur Autismus Selbstdiagnose benutzt, müssen von verlässlichen Quellen kommen. Denn wer eine Selbstdiagnose auf falschen Informationen aufbaut, erhält möglicherweise eine Fehldiagnose. Das Gleiche gilt auch für die Informationen, die Fachleute zur Diagnose benutzen.
Selbstdiagnose bedeutet, auch für ein negatives Ergebnis offen zu sein. Selbstdiagnose sucht nicht nach Bestätigung. Sie sucht nach der Wahrheit. Selbst, wenn die Wahrheit nicht das ist, was man dachte, erwartete, oder wollte. Selbstdiagnose beinhaltet somit auch, andere mögliche Diagnosen in Betracht zu ziehen, die auf das zutreffen, was man erlebt. Das Gleiche gilt auch für eine offizielle Diagnose.
Es ist während des Selbstdiagnoseprozesses, genauso wie während einer professionellen Diagnose, wichtig, Bestätigungsfehler zu vermeiden.
WAS IST SELBSTDIAGNOSE NICHT?
Selbstdiagnose ist keine uninformierte, spontane Entscheidung. Selbstdiagnose ist nicht schnell und einfach. Sie wird nicht gestellt, ohne sich gründlich zu informieren, damit man so sicher sein kann, wie möglich.
Jemand, der sich in etwas Autistischem wiedererkennt und sich augenblicklich als ebenfalls autistisch erklärt, selbstdiagnostiziert sich nicht. Das ist Selbstdeklarierung. Solcherart Erkenntnisse können ein Schritt in Richtung Selbstdiagnose sein, aber sie sind an sich keine Selbstdiagnose. Selbstdiagnose ist ein diagnostischer Prozess.
Selbstdiagnose wird nicht für Aufmerksamkeit gestellt, weil jemand unterdrückt sein will, um irgendwelche Vorteile zu erringen, oder aufgrund sonstiger möglicher schädlicher Gründe.
Ein nichtautischer Mensch, der sich wissentlich fälschlich als autistisch deklariert, selbstdiagnostiziert nicht. Er lügt darüber, autistisch zu sein.
Selbstdiagnose an sich schadet der autistischen Gemeinschaft nicht.
Manche Menschen benutzen den Begriff “Selbstdiagnose“, um Dinge zu benennen, die nicht tatsächlich Selbstdiagnose sind. Dies schafft Probleme und das muss angesprochen werden. Gleichzeitig müssen wir sehr vorsichtig damit sein, Autismus nicht mit unnötigen und schädlichen Pforten und Schlössern zu versehen.
Das richtige Gleichgewicht zwischen beidem zu finden, kann sehr schwierig sein. Es gibt keine einfache Anwort auf „Wie stellen wir sicher, dass jede autistische Person mit und ohne Diagnose erkennen kann, dass sie autistisch ist, in unserer Gemeinschaft willkommen geheißen wird, und die Unterstützung erhält, die sie braucht…und gleichzeitig, dass Menschen die nicht autistisch sind dieses Label nicht missbrauchen?“
WARUM GIBT ES SELBSTDIAGNOSE ÜBERHAUPT?
Selbstdiagnose existiert, weil es mit dem offiziellen diagnostischen Prozess von Autismus ernsthafte und anhaltende Probleme gibt. Die laufende Verweigerung der Menschen mit Macht über diesen Prozess, daran etwas zu ändern, geht hiermit Hand in Hand.
Der andauernde Kampf für die Befreiung autistischer Menschen spielt eine Rolle dabei, dass Selbstdiagnose häufiger geworden ist. Autistische Menschen wehren sich dagegen, dass nichtautistische Menschen so viel Macht über uns haben. Dass sie über unser Leben entscheiden, unsere eigene Neurologie gatekeepen, und von uns profitieren, ohne uns richtig zu unterstützen. Etwas von der diagnostischen Macht an sich zu nehmen ist für manche autistische Menschen eine Art autistischer Befreiung.
Das digitale Zeitalter befähigt außerdem viele autistische Menschen zur Selbstdiagnose. Informationen und Resourcen sind nicht mehr nur für formal ausgebildete Fachleute griffbereit, sondern für alle, die sie finden und verarbeiten können.
WARUM UNTERSTÜTZEN MANCHE MENSCHEN SELBSTDIAGNOSE?
“PROFESSIONELLE DIAGNOSE KANN UNBEZAHLBAR SEIN.”
Nicht jeder Mensch kann sich eine offizielle Autismusdiagnose leisten. Nicht jeder Mensch kann sich eine Krankenversicherung leisten. Nicht jede Versicherung bezahlt alles vollständig, oder überhaupt. Versicherungen haben oft Selbstbeteiligungsbeträge und Zuzahlungen. Die finanzielle Zugänglichkeit einer offiziellen Autismusdiagnose varriert je nach Land stark. Wenn jemand diesen fianziellen Zugang nicht hat, kann eine offizielle Diagnose außer Reichweite sein.
In Deutschland ist dieses Argument größtenteils hinfällig, da unser Versicherungssystem die oben genannten finanziellen Ungerechtigkeiten kaum mit sich bringt (anders, als in anderen Ländern). Trotzdem gibt es auch hier unversicherte Menschen die keinen Zugang zu offizieller Diagnostik haben.
“EINE PROFESSIONELLE DIAGNOSE KANN UNZUGÄNGLICH SEIN.”
Abhängig von individuellen Umständen kann der offizielle diagnostische Prozess für autistische Menschen ein gänzlich unmögliches Unterfangen sein. Es handelt sich hierbei um wiederholte, stundenlange Termine, Reisen, Warten, Tests, soziale Interaktion, Fragen stellen und beantworten, über die eigenen Probleme, Schwierigkeiten, Defizite, Schwächen ausgefragt werden. Zusätzlich geschieht dies meist in unbekannter, nicht barrierefreier Umgebung.
Manche autistische Menschen kommen damit gut zurecht. Andere kämpfen sich hindurch. Und für manche ist dies schlicht nicht machbar. Ich hatte Glück, dass ich gesund genug war, als ich meine Diagnose erhalten habe. Ich habe Monate gebraucht, um mich zu erholen, aber ich habe es überlebt. Müsste ich heute eine Diagnose bekommen, glaube ich nicht, dass ich es durch den Prozess schaffen würde.
Hinzu kommen Probleme wie jahrelange Wartezeiten, geschlossene Wartelisten aufgrund von Überfüllung, unerreichbar weit entfernte Diagnosezentren, fehlende qualifizierte Fachleute für dei Diagnostik, Ärzte die sich weigern, Überweisungen auszustellen, und so weiter und so fort.
“PROFESSIONELLE DIAGNOSE IST VOREINGENOMMEN.”
Autismus wurde ursprünglich als Kindheitsstörung angesehen. Außerdem wurde Autismus als männliches Problem gesehen (dafür kannst du Simon Baron-Cohen mit seiner ‘Extreme Male Brain Theory’ danken). Autismus wurde zusätzlich zuerst in weißen Kreisen beschrieben und diagnostiziert.
Diese Voreingenommenheiten existieren auch heute noch. Ja, Fürsprecher und Aktivisten arbeiten hart daran, sie abzubauen und Fortschritte werden gemacht. Aber für viele autistische Menschen ist das zu wenig und kommt zu spät.
Mädchen und Frauen sind immer noch stark unter-diagnostiziert, und fragt mich gar nicht erst nach trans Menschen. Erwachsene werden inzwischen häufiger diagnostiziert, aber es ist immer noch schwierig, fähige Fachleute für eine Erwachsenendiagnostik zu finden. Jemand, der nicht weiß ist, kann es schwer haben, eine Autismusdiagnose zu erhalten. Und abgesehen davon gar keine Diagnose zu erhalten, sind Fehldiagnosen auch immer noch ein Riesenproblem.
All diese Voreingenommenheiten bedeuten, dass Menschen, die nicht stereotyp, cis, männlich, weiß, und ein Kind sind, oft keine offizielle Autismusdiagnose erhalten, obwohl sie autistisch sind.
“SELBSTDIAGNOSE KANN EIN SCHRITT ZUR OFFIZIELLEN DIAGNOSE SEIN.”
Für viele autistische Menschen ist Selbstdiagnose ein Schritt in Richtung einer professionellen Diagnose. Kinder werden von ihren Eltern oder Vormunden zu Fachleuten gebracht. Erwachsene müssen eine Diagnose meist aktiv selbst suchen, um eine Chance zu haben, sie zu bekommen. Ohne Selbsterkenntnis um diesen Prozess zu beginnen, würden viele Erwachsene niemals eine professionelle Diagnose erhalten.
Je nach individuellen Umständen der autistischen Person hat diese Selbsterkenntnis verschiedene Grade. Manche hören bei „Vielleicht bin ich autistisch. Ich such mir mal einen Diagnostiker.“ auf. Andere recherchieren alles, interagieren mit der autistischen Gemeinschaft, und kommen irgendwann bei einer Selbstdiagnose an, ehe sie schließlich den offiziellen diagnostischen Prozess durchlaufen.
“MANCHE AUTISTISCHE MENSCHEN WOLLEN ODER BRAUCHEN KEINE PROFESSIONELLE DIAGNOSE.”
Einige selbstdiagnostizierte autistische Menschen wollen keine professionelle Diagnose, weil eine solche in der Krankenakte Probleme machen kann, da sie zu Diskriminierung führen kann.
In manchen Ländern zählt man mit Autismusdiagnose als „medizinisch vorbelastet“. Versicherungen benutzen dies, um entweder überhöhte, oft unbezahlbare Beiträge zu verlangen – oder nehmen autistische Menschen gar nicht erst auf.
Je nach Land ist es per Gesetz vorgeschrieben, eine bekannte Autismusdiagnose in bestimmten Situationen anzugeben – beispielsweise, wenn man einen Führerschein machen möchte, oder für bestimmte Arbeitsplätze. Die Diagnose kann dann als Grund verwendet werden, autistische Menschen von der Teilhabe auszuschließen.
Dies sind nur einige mögliche Gründe, wrum einige autistische Menschen eine offizielle Diagnose vermeiden.
Eine professionelle Diagnose kann viele positive Dinge ins Leben autistischer Menschen bringen. Sie kann die Tür zu offizieller Unterstützung öffnen. Sie kann ein Gefühl von Gültigkeit und Bestätigung bringen. Eine professionelle Diagnose kann autistische Menschen untereinander verbinden. Sie kann zu Selbsterkenntnis, Verständnis, Selbstakzeptanz, und vielen anderen positiven Dingen führen.
Aber nicht alle autistische Menschen wollen oder brauchen für all diese Dinge eine offizielle Diagnose. Manche autistische Menschen sind zufrieden damit, nur selbstdiagnostiziert zu sein. Menschen können wissen, dass sie autistisch sind, können Verständnis, Bewusstsein, Akzeptanz, Unterstützung, und Gemeinschaft mit anderen autistischen Menschen finden, ohne dass sie zuerst das „Gütesiegel“ einer anderen (meist nichtautistischen) Person erhalten.
Wir sind so an die Autismus-Tragödien-Sichtweise gewöhnt, an die Pathologisierung von allem Autistischem, dass es einfach ist zu vergessen, dass autistische Menschen existieren, die außerhalb dessen glückliche, gesunde, autistische Leben leben. Aber sie existieren! Und das ist gut so.
Manche autistische Menschen sehen keinerlei medizinische Seite an Autismus und de-pathologisieren ihn vollständig. Sie vergleichen autistisch zu sein beispielsweise damit, LGBTQIA+ zu sein.
Ich stimme dem nicht zu und sehe Autismus definitiv als medizinische Behinderung (nicht als Erkrankung oder Störung) – aber wenn dies ein Grund einer selbstdiagnostizierten autistischen Person ist, keine professionelle Autismusdiagnose anzustreben, ist das ihr gutes Recht.
WARUM SIND MANCHE MENSCHEN GEGEN SELBSTDIAGNOSE?
“MANCHE MENSCHEN MISSBRAUCHEN SELBSTDIAGNOSE.”
Einige nichtautistische Menschen behaupten vielleicht, dass sie autistisch sind und verbreiten dann Fehlinformationen über Autismus, und/oder sprechen über autistische Menschen hinweg. Deren Behauptung, dass sie autistisch wären, verleiht ihren Worten mehr Gewicht, was es schwierig machen kann, Andere davon zu überzeugen, dass sie in Wirklichkeit Fehlinformationen verbreiten.
Dies ist schädlich und es muss anerkannt und angesprochen werden.
Allerdings ist die Schlussfolgerung, dass Selbstdiagnose in diesem Szenario das Problem ist, falsch.
Selbstdiagnose ist nicht der Grund, warum dies passiert. Und Selbstdiagnose nicht zu akzeptieren, verhindert auch nicht, dass dies passiert. Dass nichtautistische Menschen Selbstdiagnose missbrauchen, bedeutet nicht, dass Selbstdiagnose schlecht ist. Es bedeutet, dass Selbstdiagnose zu missbrauchen schlecht ist.
Ich habe miterlebt, wie selbstdiagnostizierte Menschen autistischen Menschen schaden.
Ich habe miterlebt, wie professionell diagnostizierte Menschen autistischen Menschen schaden.
Ich habe miterlebt, wie nichtautistische Menschen autistischen Menschen schaden.
Jeder Mensch, ob autistisch oder nicht, ob professionell diagnostiziert oder nicht, sollte sich gut über Autismus informieren, ehe er anfängt, Informationen zu verbreiten. Niemand, ob autistisch oder nicht, ob professionell diagnostiziert oder nicht, sollte autistischen Menschen schaden.
Das Problem der Verbreitung von Fehlinformationen entsteht nicht durch Selbstdiagnose.
Das Problem, dass Menschen für und über autistische Menschen hinweg sprechen entsteht nicht durch Selbstdiagnose.
Diese Probleme entstehen durch Menschen, die sich dazu entscheiden schlechte Dinge tun.
Dagegen sollte vorgegenagen werden, anstatt fälschlicherweise Selbstdiagnose die Schuld zu geben.
“NUR FACHLEUTE KÖNNEN AUTISMUS DIAGNOSTIZIEREN.”
Manche Menschen lehnen Selbstdiagnose ab, weil sie glauben, dass nur Fachleute qualifiziert sind, Autismus zu diagnostizieren. Dazu sage ich, dass wir uns von dem Glauben befreien sollten, dass Fachleute, insbesondere nichtautistische Fachleute, unfehlbar sind. Oder auch nur generell angemessen über Autismus informiert.
Die Werkzeuge, die Fachleute benutzen, um Autismus zu diagnostizieren, basieren auf Jahrzehnten von Fehlinformationen, voreingenommenen Informationen, veralteten Informationen – zusammengestellt von nicht autistischen Menschen.
Viele autistische Menschen bekommen von Fachleuten gesagt, sie seien nicht autistisch.
Viele Fachleute, die dazu befugt sind, Autismusdiagnosen zu stellen, wissen sehr wenig über Autismus.
Viele Fachleute wissen weniger über Autismus, als viele autistische Menschen.
Fachleute sind menschliche Wesen mit Informationen in ihrem Gehirn – genauso, wie jeder andere Mensch. Die Informationen, auf denen Fachleute ihre Autismusdiagnosen aufbauen, sind nicht nur Fachleuten zugänglich.
Nicht-Fachleute haben Zugriff auf diese Informationen.
Nicht-Fachleute können genau die gleichen Dinge lernen, wie Fachleute (oder mehr).
Logischerweise können also auch Nicht-Fachleute in der Lage sein, sich selbst korrekt als autistisch zu identifizieren.
Können Menschen, die sich selbstdiagnostizieren, falsch liegen? Natürlich!
Zu denken, man wüsste etwas, sich 100% sicher sein, nur um irgendwann zu lernen, dass man doch falsch lag, ist ein ganz normaler Teil des Menschseins. Es ist nicht automatisch schädlich, sich zu irren!
Die autistische Gemeinschaft erleidet keinen Schaden davon, dass eine nichtautistische Person aufrichtig aber fälschlicherweise glaubt, autistisch zu sein. Schaden entsteht erst durch bestimmte Handlungen dieser nichtautistischen Person – beispielsweise wenn diese Fehlinformationen über Autismus verbreitet. Das sollte in Angriff genommen werden, denn das ist das Problem – nicht eine irrtümliche Autismus Selbstdiagnose.
Und vergiss niemals: Fachleute können genauso mit ihrer Autismusdiagnose falsch liegen!
Jeder Mensch hat das Potenzial, sich zu irren.
Das ist kein Grund, gegen Selbstdiagnose zu sein, genauso wie es kein Grund ist, gegen offizielle Diagnose zu sein.
“SELBSTDIAGNOSTIZIERTE NEHMEN ‘ECHTEN’ AUTISTISCHEN MENSCHEN RESOURCEN WEG.”
Manche Menschen sind gegen Selbstdiagnose, weil sie denken, selbstdiagnostizierte Menschen nähmen professionell diagnostizierten Menschen Resourcen weg. Ich verstehe nicht, wie sie auf diesen Schluss kommen, weil ohne offizielle Diagnose kein Zugang zu offizieller Unterstützung möglich ist. Dies passiert also schlicht nicht.
Aber.
Selbst wenn ein selbstdiagnostizierter autistischer Mensch eine Resource erhält, die ein professionell diagnostizierter autistischer Mensch nicht erhält, so nimmt er er diese nicht „weg“. Alle autistischen Menschen haben es verdient, die Unterstützung zu erhalten, die sie brauchen.
Tatsächlich sollte kein Mensch eine Diagnose brauchen, damit seine Bedürfnisse erfüllt werden.
Ob er nun autistisch ist oder nicht.
Verinnerliche das.
Warum gibt es nicht genügend Resourcen? Nicht, weil zu viele autistische Menschen sie brauchen. Nicht, weil zu viele Menschen, die sie nicht brauchen, sie in Anspruch nehmen. Es liegt daran, dass die Menschen mit der Macht genügend Resourcen für alle zur Verfügung zu stellen, dies bewusst nicht tun. Verstehe, wer der wirkliche „Feind“ ist. Es sind nicht selbstdiagnostizierte Menschen.
“MENSCHEN, DIE NICHT AUTISTISCH SIND, SOLLTEN NICHT BEHAUPTEN, DASS SIE AUTISTISCH SIND.”
Manche Menschen sind gegen Selbstdiagnose, weil sie nicht wollen, dass Menschen die nichtautistisch sind einfach behaupten können, sie wären autistisch. Ich glaube nicht, dass irgendjemand möchte, dass nichtautistische Menschen behaupten, sie wären autistisch. Aber was willst du wirklich dagegen tun? Und hilft das, was du tun willst, wirklich autistischen Menschen? Oder schadet es vielleicht mehr, als es hilft?
Wie können wir beweisen, dass jemand tatsächlich autistisch ist?
Wie können wir beweisen, dass jemand nicht autistisch ist?
Die einfache Antwort ist: Wir können es nicht.
Egal ob jemand eine offizielle Diagnose hat, oder dies zumindest behauptet, letztendlich gibt es derzeit keine Möglichkeit, zu beweisen, ob jemand autistisch ist, oder nicht. Es gibt keinen Bluttest, kein Röntgenbild, keine Computertomographie, keinen Gentest, usw. Ich bezweifle, dass es jemals einen solchen Test geben wird, aber heute gibt es ihn definitiv nicht.
Was uns also übrig bleibt ist, den Autismusstatus von Menschen in Frage zu stellen, basierend auf – worauf eigentlich? Selbst die Fachleute sind sich untereinander nicht einig!
Was sind die Kritierien, die du als 100% verlässlich für 100% der autistischen Menschen ansiehst, sodass du dir immer 100% sicher sein kannst, ob jemand der sagt er sei autistisch auch wirklich autistisch ist? Wurden diese Kriterien von nichtautischen Menschen aufgestellt, wie etwa der gesamt offizielle Diagnoseprozess?
Denkst du wirklich, dass du andere Menschen gut genug kennst, um so eine Behauptung aufzustellen? Möchtest du wirklich ein Mensch sein, der einen tatsächlich autistischen Menschen beschuldigt, seinen Autismus nur vorzutäuschen? Ich weiß, dass ich nicht dieser Mensch sein möchte.
Sobald wir damit anfangen, den Autismusstatus von Menschen in Frage zu stellen, schaden wir letztendlich immer autistischen Menschen. Es wird immer irgendetwas an jeder autistischen Person geben, dass gegen sie verwendet werden kann. Und wenn es nichts gibt, dann werden Menschen sich etwas ausdenken.
Jemandes Autismusstatus in Frage zu stellen, wird bereits heute als Waffe verwendet. Das ist inakzeptabel. Es hindert Menschen, die darüber lügen wollen, dass sie autistisch sind, nicht daran, dies zu tun. Nichts tut das. Aber es schadet tatsächlichen autistischen Menschen ungemein, die fälschlicherweise angegriffen werden und deren Autismus in Frage gestellt wird.
Ich verstehe den Drang, Menschen bloßstellen zu wollen, die sich schädlich verhalten. Ich tue dies aber auf Basis dessen, was diese Menschen sagen und tun, nicht weil sie autistisch sind oder nicht.
“MENSCHEN SOLLTEN ES NICHT SELBSTDIAGNOSE NENNEN. SAG DOCH EINFACH, DASS DU VERMUTEST, AUTISTISCH ZU SEIN.”
Manche Menschen haben kein Problem damit, dass Menschen vermuten autistisch zu sein, aber sie sind gegen den Begriff „Selbstdiagnose“. Sie sagen, dass Menschen, die vermuten autistisch zu sein, Begriffe benutzen sollten, die das klar machen, anstatt „selbstdiagnostiziert“.
Ich stimme dem nicht zu, weil der Begriff „Selbstdiagnose“ genau deswegen existiert, um klar zu machen, dass man keine offizielle Diagnose hat.
Zusätzlich geht der Glaube, dass autistische Menschen immer im „Vermuten“ bleiben müssen, fragend, zweifelnd, unsicher, es sei denn sie erhalten Bestätigung von einem, meist nichtautistischen, Fremden um Gültigkeit zu erlangen, gegen autistische Befreiung.
WAS ASLO NUN? AUTISMUS SELBSTDIAGNOSE JA ODER NEIN?
In meiner idealen Welt gäbe es universal zugängliche professionelle Diagnose kostenlos für jeden autistischen Menschen. Es gäbe eine komplette Überarbeitung der diagnostischen Kriterien und des diagnostischen Prozesses von autistischen Menschen für autistische Menschen. Es gäbe autistische Fachleute, die andere autistische Menschen diagnostizieren und weitere autistische Fachleute ausbilden. Es gäbe keine Diskriminierung gegen autistische Menschen. Es gibt Anpassungen und Unterstützung für alle und jedermans Bedürfnisse werden erfüllt.
Das ist meine ideale Welt und Etwas, worauf wir hinarbeiten sollten. Es ist jedoch nicht die aktuelle Realität, und es wird auch noch für viele Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte, nicht Realität sein.
Jeder autistische Mensch verdient die Chance, zu verstehen, dass er autistisch ist. Jeder autistische Mensch verdient es, ein glückliches, gesundes, autistisches Leben zu leben. Jeder autistische Mensch verdient Selbstverständnis, Selbstakzeptanz, Selbstvertretung, die Unterstützung seinesgleichen, Gemeinschaft, Akzeptanz, Inklusion, Anpassungen, Rechte, Gerechtigkeit – all die Dinge, zu denen zu wissen, dass man autistisch ist die Tür öffnet.
Ich bin nicht mit Menschen einer Meinung, die keinerlei Ansprüche an Selbstdiagnose haben, außer „Ich habe diesen autistischen Charakter gesehen und wusste einfach, dass ich auch autistisch bin.“ Selbstdiagnose ist mehr als Selbstdeklarierung, und muss es meiner Meinung nach auch sein. Aber wenn es mehr also das ist, wenn es ein tatsächlicher selbstdiagnostischer Prozess ist, dann akzeptiere ich zumindest aktuell Selbstdiagnose aus all den Gründen, die ich hier dargelegt habe.
Ich bin aktuell nicht „für“ Selbstdiagnose – noch bin ich „dagegen“. Ich empfinde dieses Thema als viel zu komplex für ein einziges Wort. Außerdem hat Selbstdiagnose keine allgemeingültige Definition mit der alle übereinstimmen. Entsprechend kann ich weder allgemein “dafür” noch allgemein “dagegen” sein. Deshalb hoffe ich, dass meine Ausführungen klar machen, wie ich zu allen einzelnen Punkten stehe.
Früher war ich sehr gegen Selbstdiagnose. Ich bin froh, dass ich heute sagen kann, dass ich dazu gelernt habe. Ich habe mich selbst weiter gebildet, und Andere haben mir geholfen, mich weiter zu bilden.
Eins weiß ich sicher: Ich kämpfe für autistische Befreiung und die kann nicht erreicht werden, solange nichtautistische Menschen die Gatekeeper von Autismus sind.
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