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ECHOLALIE UND ANDERE ECHO PHÄNOMENE – MITNICHTEN SINNLOS
WAS ECHOLALIE IST
Echolalie ist das Wiederholen von Tönen oder Wörtern, die man hört.
Es ist eines von mehreren anderen Echophänomenen:
Echopalilalie – Wiederholung eigener Töne und Wörter
Echologik – Wiederholung von Tönen und Wörtern in Gedanken
Echopraxie – Wiederholung von Gesten und Bewegungen (auch Echomimie)
Echomimik – Wiederholung von Gesichtsausdrücken
Echoplasie – physisches oder mentales Nachfahren der Umrisse von Objekten
Falls du in der Vergangenheit Informationen über Echolalie und andere Echophänomene von Fachleuten bekommen hast, unterscheiden sich diese vielleicht in Teilen von dem, was du hier lernen wirst. Das liegt daran, dass die Sicht von Fachleuten den pathologisierten Blick eines außenstehenden Beobachters repräsentiert, dem die Innensicht und gelebte Erfahrung völlig fehlt. Das gesagt, fangen wir an!
Echolalie kann unmittelbar (etwas sofort nach dem Hören wiederholen), oder verspätet (etwas wiederholen, was man irgendwann einmal gehört hat) sein. Echolalie kann automatisch, unabichtlich, absichtlich, freiwillig, oder unfreiwillig sein. Sie kann kommunikativ oder nicht-kommunikativ sein. Häufigkeit, Grund, Auslöser, Art, und Inhalt der Echos einer Person können sich im Laufe von deren Leben verändern und schwanken.
Menschen benutzen den Begriff “Echolalie” oft als austauschbar mit „scripting“. Jedoch sind diese zwei Dinge nicht dasselbe. Echolalie ist das Wiederholen von Tönen oder Wörtern. Scripting ist das Wiederholen längerer Passagen (beispielsweise aus Büchern oder Filmen). Scripting wiederum ist nicht dasselbe, wie „Skripts benutzen“, was bedeutet zielgerichtet Sätze auswendig zu lernen, um diese in sozialen Interaktionen zu verwenden.
Verbal, non-verbal, sprechend, nicht-sprechend – Menschen auf dem gesamten Spektrum dieser Erfahrungen können alle Echolalie haben. Echolalie kommt unter autistischen Menschen häufig vor, aber nicht alle autistischen Menschen sind echolalisch – und auch nicht-autistische Menschen können echolalisch sein.
ECHOEN ALS WEG ZU SPRACHE
Echolalie ist, wie alle Menschen natürlich sprechen lernen. Sie hören Menschen sprechen, und wiederholen das Gehörte. Wieder und wieder. Durch diese Nachahmung und Wiederholung bildet das Gehirn neue Verbindungen und der Mensch lernt.
Autistische Menschen beginnen oft später als gleichaltrige nicht-autistische Menschen zu sprechen. Da ist es nur logisch, dass autistische Menschen als Teil ihrer natürlichen Sprachentwicklung deshalb auch weit länger echoen, als nicht-autistische Gleichaltrige.
Suchst du online, wirst du viele Berichte von Eltern autistischer Kinder finden, darüber wie ihre nicht-sprechenden Kinder zuerst echoten, dann zu scripting übergingen, und irgendwann anfingen, selbst Sätze zu bilden. Suchst du intensiver, und das solltest du, wirst du solche Berichte auch von autistischen Menschen selbst finde. Vielleicht erscheinen unsere eigenen Stimmen irgendwann ganz oben in den Suchergebnissen.
Traurigerweise erkennen Fachleute zwar an, dass Echolalie zum menschlichen Sprechenlernen notwendig ist, erklären im selben Atemzug jedoch Echolalie über das ungefähr 2. Lebensjahr hinaus als „bedeutungslos“, „nichtfunktional“, und „Symptom einer Störung“.
Vielleicht ist der größte Unterschied zwischen der Echolalie eines neurotypischen Kindes, das Sprechen lernt, und der Echolalie einer neurodivergenten Person (egal wie alt) der, dass die eine pathologisiert wird und die andere nicht.
Nun führt nicht jedwede Echolalie zu typischer Sprache, und Sprachentwicklung ist nicht der einzige Grund für Echolalie – aber unterschätze nicht die Bedeutung von Echolalie für die Sprachentwicklung.
WARUM MENSCHEN ECHOEN
Echoen kann, abgesehen von Sprachentwicklung, aus vielen verschiedenen Gründen passieren. Viele sind für andere Menschen nicht sofort verständlich – besonders nicht für Personen, die selbst nicht echoen. Egal, ob du generell mit Echophänomenen vertraut bist, oder nicht, du wirst vielleicht nicht verstehen, warum es in einer bestimmten Situation passiert. Betrachten wir also einmal verschiedene mögliche Gründe dafür, warum eine Person echot:
1. SELBST-STIMULIERUNG (STIMMING)
Zu echoen schafft Sinnesreize. Für Echo- und Palilalie sind das beispielsweise, wie sich ein Geräusch im Rachen, im Mund, auf den Lippen, im Brustkorb anfühlt, und wie es klingt – all diese sensorischen Informationen können ein Grund dafür sein, warum jemand echot.
2. SELBST-REGULATION
Echoen bedeutet Wiederholung, Gleichheit, was einem Menschen Sicherheit und Schutz geben kann. Auf diese Art kann echoen zur Stresslinderung führen. Es kann auch einfach entspannend sein. Oder angenehm. Oder beim Konzentrieren helfen. Der Übergang zum Stimming ist verschwommen.
3. AUSDRUCK VON EMOTIONEN
Echoen kann dazu genutzt werden, Gefühlszustände auszudrücken. Je nach Emotion werden die dazugehörigen Töne, Worte, oder Sätze wiederholt. Beachte, dass „dazugehörig“ nicht heißt, dass was vokalisiert wird und welche Emotion es ausdrückt notwendigerweise für die Menschen zusammenpasst, die es hören. Worauf es hier ankommt ist, was im Innern der Person vorgeht, die echot.
4. KOMMUNIKATION
Eine Person benutzt vielleicht die Worte Anderer um zu kommunizieren, anstatt der eigenen. Besonders Menschen mit Sprachschwierigkeiten finden es vielleicht einfacher, geborgte Worte zu verwenden, als eigene verarbeiten, kreieren, und aussprechen zu müssen.
Echolalie kombiniert mit Scripting wird zu echolalischem Scripting: eine Person benutzt dann nicht denselben Ton, oder dasselbe Wort immer und immer wieder. Stattdessen benutzt sie ein bestimmtes Wort, oder einen bestimmten Satz, den sie gezielt zur Kommunikation auswählt.
Wenn ich an kommunikative Echolalie denke, denke ich immer an Bumblebee aus dem Film „Transformers“. Er kommuniziert, indem er Teile von beispielsweise Radiosendungen abspielt.
5. ANDERE GRÜNDE
Echoen kann auch ein Tic oder ein Drang sein. Es kann eine unfreiwillige Reaktion auf einen Auslöser sein. Oder der Grund kann unbekannt sein, selbst der Person, die das Echophänomen erlebt.
WENN ECHOLALIE FEHLINTERPRETIERT WIRD
Wenn Echolalie zur Kommunikation benutzt wird, kann es etwas kniffelig werden.
Stell dir das folgende Szenario vor:
Du fragst ein Kind “Möchtest du das rote T-Shirt, oder das grüne T-Shirt?“
Das Kind antwortet „Das grüne T-Shirt.“
Du gibst dem Kind das grüne T-Shirt.
Das Kind fängt an, zu weinen.
Was ist hier passiert? Du hast etwas gefragt, das Kind hat geantwortet, du hast getan, was das Kind wollte, oder nicht?
Nun. Vielleicht nicht. Vielleicht war das ein Kind mit Echolalie, das das Ende deiner Frage wiederholt hat – nicht ein Kind, das deine Frage beanwortet hat, wie du dachtest.
Wenn dies ein Problem in sozialen Interaktionen ist, ist es wichtig, nonverbale Möglichkeiten zur Kommunikation anzubieten. Bei unserem Beispiel könntest du anstatt nur zu fragen, welches T-Shirt das Kind möchte, und eine verbale Antwort zu erwarten, dem Kind auch beide T-Shirts hinhalten, damit es auf eines zeigen kann.
Sei dir auch des umgekehrten Problems bewusst. Nimm nicht automatisch an, dass jede Art von Echolalie nicht-kommunikativ ist. Dies ist eine Frage davon, Menschen kennen zu lernen, über sie zu lernen, zu lernen, sie und ihre individuelle Kommunikation zu verstehen.
Stelle sicher, dass die Kommunikationsmöglichkeiten, die du anbietest, an die individuellen Bedürfnisse der Person angepasst sind. Ein apraxisches Kind, beispielsweise, kann vielleicht nicht auf das T-Shirt zeigen, das es möchte. Ein Kind mit einer Angststörung kann vielleicht gar nicht interagieren.
Es kann helfen, einer Person, die Echolalie und/oder Palilie zur Kommunikation benutzt, eine Reihe an Sätzen beizubringen, die für alltägliche Situationen passen. Besonders, wenn diese Person normalerweise Wörter oder Sätze benutzt, die wortwörtlich nicht zu dem passen, was sie sagen möchte.
Achte aber immer darauf, die Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit der echolalischen Person zu wahren – priorisiere ihre Bedürfnisse und Wünsche. Bringe ihr nicht einfach „angemessene“ Sätze bei, weil die Gesellschaft es erwartet, wenn es nicht etwas ist, dass die Person selber möchte oder braucht.
Es gibt keine Lösung die für alle funktioniert, aber es gibt für alle eine Lösung.
WIE SICH UNFREIWILLIGE ECHOLALIE ANFÜHLT
Unfreiwillige Echolalie ist meist unkontrollierbar. Sie kann jederzeit passieren, aber für mich hat sie meist einen Trigger. Ein häufiger Trigger ist jede Art von Intensität. Intensität triggert mein echoen und ich kann nicht aufhören, bis die Intensität abgebaut ist.
Ein paar Beispiele meiner unfreiwilligen Echo- und Palilalie:
– Wenn es plötzlich anfängt zu donnern, wiederhole ich vielleicht „That’s scary!“ (Englisch, „Das ist furchterregend!“) solange, bis die Angst sich gelegt hat.
– Wenn ich plötzlich das Bedürfnis habe, eine Banane zu essen, wiederhole ich vielleicht „Banana!“ (Englisch, „Banane!“) solange, bis ich eine habe und den ersten Bissen tun kann.
– Wenn ich meinen Mann rufe, wiederhole ich vielleicht seinen Namen solange, bis er antwortet.
– Wenn ich etwas höre, muss ich es vielleicht augenblicklich unkontrollierbar wiederholen. Für mich sind das oft eher ungewöhnliche Laute oder Wörter, aber es kann auch so etwas simples sein wie mein Mann, der sagt „Breakfast is ready!“ (Englisch, „Frühstück ist fertig!“), und ich wiederhole das dann solange, bis wir am Tisch sitzen und zu essen anfangen.
UNFREIWILLIG, NICHT BEDEUTUNGSLOS
Die Bedeutung hinter meinen unfreiwilligen Echos ist vielleicht den Leuten die sie mitkriegen nicht bekannt, mir selbst jedoch meist schon, jetzt wo ich sie besser verstehe.
Ich verstehe meine unfreiwilligen Echos hauptsächlich als mein Gehirn, das sagt „Das hier ist wichtig.“ Oft betrifft dies dringende Bedürfnisse, die schnell erfüllt werden müssen, sodass mein Gehirn sich auf diese Art und Weise um mich kümmert.
Als autistischer Mensch in einer nicht-autistischen Welt ist es für mich schwierig, mit meiner unfreiwilligen Echo- und Palilalie umzugehen. Wenn ich dort etwas echoe, wo die Gesellschaft es als „unangemessen“ betrachtet (Theater, Kino, während einer Präsentation, usw.), kann ich Schwierigkeiten bekommen. Wenn ich Dinge echoe, die die Gesellschaft als „unangemessen“ betrachtet (Verunglimpfungen, sexuelle Inhalte, usw.), kann ich Schwierigkeiten bekommen.
Wegen den Reaktionen anderer Menschen versuche ich oft, meine Echos in der Öffentlichkeit zu unterdrücken, oder vermeide es, rauszugehen.
WIE SICH ECHOLALIE ALS STIMMING ANFÜHLT
Es gibt Töne, Wörter, und Sätze, die für mich sehr angenehm sind. Sie zu hören, sowie wie sie sich anfühlen – besonders in meinem Rachen und Brustkorb. Mein Stimming mit Echo- und Palilalia sind meist Vokalisierungen, keine Wörter. Ich erlebe sowohl freiwilliges, wie auch unfreiwilliges Echo-Stimming.
Es passiert in allen möglichen Situationen, positiv, neutral, negativ – aber der sensorische Input den ich vom Echoen selbst bekomme ist für mich immer positiv. Es sind mein Gehirn und mein Körper, die sich an Input hängen, der gut für mich ist, und ihn mir wieder und wieder verabreichen, in dem Versuch mir etwas Gutes zu tun.
Die Grenze zwischen Echolalie, Palilalie, und vokalem Stimming ist für mich schwierig zu ziehen – und für mich ist das auch okay so.
WIE ECHOEN BEHINDERN KANN
Ich habe bereits angesprochen, wie echoen befähigen, oder eine neutrale Erfahrung sein kann – aber dieser Artikel wäre nicht vollständig, würde ich nicht anerkennen, dass Echoen auch behindernd sein kann.
Der grundliegende Mechanismus des unfreiwilligen Echoen ist Kontrollverlust. Es ist wahrscheinlich nicht schwierig, sich vorzustellen, wie das behindernd sein kann, oder? Wenn mein Gehirn mich dazu zwingt, etwas immer wieder zu wiederholen, werde ich dabei behindert, das zu sagen, was ich eigentlich sagen möchte. Ich werde auch dabei behindert, schlicht nicht das zu sagen, wozu mein Gehirn mich zwingt.
Je nachdem, wie oft jemand echot, und wie lange diese Episoden dauern, können die behindernden Auswirkungen von nicht existent bis hin zu schwerwiegend reichen.
Bitte beachte, dass niemand außer der Person die echot festlegen kann, ob ihr Echoen für sie behindernd ist, oder nicht. Genauso, wie niemand außer der Person die echot festlegen kann, ob ihre Echos neutral, positive, oder negative Erfahrungen sind.
WAS ICH MÖCHTE, DAS MENSCHEN WISSEN
Echophänomene machen niemanden zu einem schlechten Menschen. Selbst, wenn sie „schlechte“ Dinge beinhalten, zu „unangemessenen“ Zeiten, oder an „unangemessenen Orten passieren.
Ich möchte, dass Menschen wissen, das Menschen ihr echoen meistens nicht kontrollieren können. Und, dass selbst wenn sie es irgendwie kontrollieren können, es Teil ihrer Neurologie ist.
Ich möchte, dass Menschen Echophänomene akzeptieren. Akzeptiert Menschen so, wie sie sind. Fühlt euch frei, respektvolle Fragen zu stellen, aber fühlt euch nicht zu einer Antwort berechtigt.
Hier sind die Gedanken von ein paar anderen autistischen Menschen zum Thema Echolalie:
ASK AN AUTISTIC
MUSINGSOFANASPIE
RAISINGREBELSOULS
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