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AUTISTISCHE EINSAMKEIT – SOZIALE ISOLATION
WIE ICH EINSAM WURDE
Als ich klein war, hieß mit jemandem befreundet zu sein, sich zu verabreden und Dinge zusammen zu tun. Freundschaft und soziale Interaktion waren so viel einfacher als Kind. Die Regeln waren klar und sie, sowie alles Andere, wurden offen und ehrlich besprochen und verhandelt.
Dann veränderten sich die Regeln sozialer Interaktion. Als ich älter wurde, wurden die Regeln komplizierter. Sie beinhalteten nun unausgesprochene, unerklärte Mysterien. Zur gleichen Zeit wurden sie unnachgiebiger. Fehler wurden nicht mehr erklärt, oder vergeben. Und ich hatte bei diesen Regeln kein Mitspracherecht mehr. Es gab keine Verhandlungen, nur dieses feste gesellschaftliche Regelwerk, dem jeder zu folgen hatte. Und doch haben alle dieses neue System wie durch Zauberei verstanden und ihren Platz darin gefunden. Alle außer mir.
Körpersprache, Stimmlage, Gesichtsausdrücke, implizierte Bedeutungen. Menschen veränderten sich unerklärlicherweise, mochten andere Dinge, wollten andere Dinge, verhielten sich anders. Gruppendynamiken veränderten sich. Cliquen veränderten sich. Das gesamte Gebiet der sozialen Interaktion veränderte sich. Und irgendwie, irgendwo, wurde ich zurückgelassen.
Manchmal war ich nur still und leise, unauffällig, kein Teil von Dingen mehr. Manchmal wurde ich energisch, gewaltsam, aktiv ausgeschlossen. Soziale Isolation wurde ein ständiger Teil meines Lebens und ich wurde einsam. Damals war ich 10.
EIN LEBEN LANG VERSUCHEN UND VERSAGEN
Für mich war nirgends und mit niemandem Platz. Ich habe das schnell verstanden, konnte aber nichts dagegen tun. Und ich habe es versucht. Mein Leben lang habe ich versucht, eine Gruppe von Menschen zu finden, zu denen ich passte. Ich habe alle mögliche Sportarten probiert, Vereine, Kurse, soziale Aktivitäten, Musikrichtungen, Stilrichtungen, Verhaltensweisen, schließlich sogar Therapie.
Nichts hat funktioniert. Entweder konnte ich die Dinge selbst nicht aushalten, oder ich passte immer noch nicht zu den Menschen, mit denen ich Dinge gemacht habe, konnte keine Verbindung zu ihnen aufbauen.
Irgendwann habe ich begriffen, dass es an mir lag. Etwas an mir sorgte dafür, dass Menschen nicht mit mir befreundet sein wollten. Menschen mochten mich oft in oberflächlichen sozialen Interaktionen, aber nie genug, um mich in ihren Kreis aufzunehmen.
Ich war einsam. Unaushaltsam einsam.
Ich hatte unglaubliches Glück, dass zu der Zeit, zu der ich aufgrund dieser unaufhörlichen Einsamkeit täglich suizidal war, das Internet passierte. Mit 16 entdeckte ich die Welt des Onlinesozialkontakts. Online soziale Kontakte knüpfen und pflegen zu können, hat mein grundliegendes Bedürfnis nach menschlichem Kontakt erfüllt. Es hat meine Einsamkeit nicht geheilt, aber es hat oberflächliche, zeitweilige Erleichterung gebracht und mir das Leben gerettet.
EINSAMKEIT IST EIN TEIL MEINES LEBENS
Ich bin auch heute noch einsam. Ich bin so daran gewöhnt, dass ich zeitweise noch nicht einmal mehr bewusst darüber nachdenke. Ich frage mich oft, warum ich so traurig bin, bis meine Gefühlsanalyse wieder einmal meine Einsamkeit als Ursache identifiziert. Sie ist so sehr ein Teil meines Lebens, dass es sich oft anfühlt, als sei es immer schon so gewesen.
Ich werde tagtäglich daran erinnert, wie anders als andere Menschen ich bin. Zu sehen, wie andere Menschen auf Arten interagieren, die ich niemals kennen gelernt habe und wahrscheinlich auch niemals kennen lernen werde, triggert meine Einsamkeit. Genauso, wie die meisten meiner Erinnerungen.
Manchmal schmerzt es mehr. Manchmal schmerzt es weniger. Manchmal ist meine Einsamkeit nur ein fernes Summen in meinem Hinterkopf. Manchmal ist sie ein tobender Tsunami, der mich mich sich davon schwemmt, über mich hinweg spült, bis ich nicht mehr atmen kann.
DAZUGEHÖREN WIRD AUS GLEICHHEIT GEBOREN
Heute weiß ich, dass die Tatsache, dass ich als Autist von Nichtautisten umgeben bin, meiner Einsamkeit zugrunde liegt. Denn ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit unter Menschen wird aus Gleichheit geboren. Ohne diese grundliegende Basis fehlte mir immer der erste und wichtigste Grundstein, auf dem alle zwischenmenschliche Verbindung aufgebaut war. Ich hatte von Beginn an nie diesen ersten Kreis der Gleichheit.
Heute verstehe ich, dass ich wahrscheinlich nie dazu in der Lage sein werde, ein wirkliches Zugehörigkeitsgefühl zu Menschen zu entwickeln, die meine Neurologie nicht teilen. Nicht die Art tiefer Zugehörigkeit, die meine Einsamkeit lindern würde.
Das erste Mal, dass ich mich jemals zugehörig gefühlt habe, war, als ich die autistische online Gemeinschaft entdeckt habe. Niemals zuvor hatte jemand meine Erlebnisse geteilt. Niemals zuvor hatte jemand die Dinge verstehen können, über die ich sprach, wenn ich versuchte, mich und meine Sicht der Welt zu erklären.
Ich gehöre zu meinen Leuten. Nur schade, dass es fast unmöglich scheint, offline andere Autisten zu finden. Und dass die meisten von uns solche Schwierigkeiten mit sozialem Kontakt haben, dass sozialer Kontakt an sich für uns oft ein Problem darstellt.
Und so bin ich einsam. An manchen Tage gebe ich die Hoffnung auf. Aber an anderen finde ich sie wieder. Letztendlich weiß ich nicht, was die Zukunft bringen wird. Vielleicht werde ich eines Tages nicht mehr einsam sein.
Für jetzt möchte ich, dass alle Autisten dort draußen, die einsam sind, weil sie diese grundliegende Verbindung der Gleichheit mit Anderen nicht haben, wissen, dass sie geliebt werden. Ich liebe euch, Neurogeschwister. Und ich danke euch dafür, dass ihr mein Anker seid, gegen den wütenden Sturm der Einsamkeit, dem wir in dieser nicht autistischen Welt gegenüber stehen.
Alleine ist man weniger einsam.
Mein erster Gedanke als ich in eine Facebook-Autistengruppe kam: “Endlich normale Leute!”.
Hang in there!