HOME » BLOG » FARBHYPERSENSIBILITÄT
FARBHYPERSENSIBILITÄT
WENN DIE WELT UNZUGÄNGLICH WIRD
Farbhypersensibilität ist etwas, über das selten, wenn überhaupt, gesprochen wird. Und doch ist es mit Leichtigkeit einer der am meisten behindernden Aspekte meines Autismusses. Andere Reizverarbeitungsprobleme kommen hinzu. Insbesondere visuelles Chaos. Aber selbst nach dem Entfernen anderer Reize bleibt auch Farbe allein ein Problem.
Wenn ich bunte Dinge sehe, werde ich überladen. Meine Augen werden angestrengt und schmerzen, meine Sicht wird verschwommen, ich bekomme Kopfschmerzen oder gar Migräne, mir wird schwindelig. Die Schwere dieser Symptome variiert, abhängig von einer Reihe an Faktoren. Aber ich kann bunte Dinge niemals einfach nur ansehen und mich daran erfreuen. Es ist immer mindestens eine erschöpfende Angelegenheit.
In der menschengemachten Welt sind Farben überall. Es scheint einen Drang zu geben, jedes bischen freien Platz zu bedecken. Ich kann mein Haus nicht verlassen, ohne angegriffen zu werden. Farben sind in der Kleidung von Menschen. Sie sind in jeder Ladenfassade und fangen wir mit dem Inneren von Geschäften gar nicht erst an. Autos sind farbig. Häuser sind farbig. Straßenkunst, Graffiti, Reklame überall. Farben die blinken, sich bewegen, sich verändern.
Selbst wenn man die Außenwelt vermeidet und sich nur online bewegt – überall Farben. Webseiten, Hintergründe, Logos, Videos, GIFs, Emojis, Fotos, es hört nie auf.
Ein Ort, an dem ich etwas Erleichterung finde, ist die Natur. Was wahrscheinlich ein Grund dafür ist, dass diese mich so gut erdet. Aber selbst in der Natur habe ich manchmal zu kämpfen – wer mag schon kein Feld voller wunderschöner blühender Blumen im Frühling, leuchtend blauen Himmel, und Sonnenschein, richtig? Hier, ich.
Ich kann die Schönheit in bestimmten farbigen Dingen durchaus sehen. Leider wird diese immer von dem Schaden überschattet, den sie bei mir anrichten.
WAS ICH BRAUCHE
WIE DIE WELT IST
DIE FORMALITÄTEN MEINER FARBHYPERSENSIBILITÄT
Abstufungen von Braun, Grau, Weiß, und Schwarz sind am Besten. Waldgrün ist auch in Ordnung. Die meisten Grüntöne sind immer noch besser, als alle anderen sonstigen Farben. Abstufungen von Rot (inklusive Pink) und neon Farben sind am Schlimmsten.
Von dem, was übrig bleibt, ist es besser, je gedämpfter, neutraler die Farbe ist. Je leuchtender und schroffer die Farbe, desto schwieriger.
Für Farbkombinationen gilt, je ähnlicher die Farben, desto besser. Je größer der Kontrast, desto schwieriger. Und je mehr verschiedene Farben, desto schlimmer.
Bei Mustern sind Streifen besonders schlimm. Alles, was in Reihen angelegt ist, ist schwieriger als Muster, die auf einfarbigem Hintergrund schweben.
Je mehr dieser Dinge kombiniert sind, desto schwieriger.
MEIN ZUHAUSE IST MEIN ZUFLUCHTSORT
Zu Hause kann ich viele der Farben kontrollieren, denen ich ausgesetzt bin.
Ich versuche, nur Kleidung in Braun-, Waldgrün-, und Grautönen zu kaufen. Unterhosen, BHs, Socken, T-Shirts, Pullover, Jacken, Handschuhe, Schals, Mützen, Schuhe, jedes einzelne Teil. Nichtbekleidungsteile ebenfalls. Taschen, Brille, Gehörschutz, Sonnenbrille.
Ich versuche, für unser Heim nur Stoffe in Braun-, Waldgrün-, und Grautönen zu kaufen. Bettwäsche, Vorhänge, Teppiche, Kissen, Stühle, Handtücher, Duschvorhang.
Ich versuche, so viele Dinge wie möglich aus ihrer Originalverpackung zu nehmen und mildere Alternativen zu nutzen. Ich benutze eine Bambuszahnbürste, weiße Zahnputztabletten in einem kleinen Einmachglas, ein weißes Stück Seife, und weißes Shampoo, das ich in eine Glasflasche umfülle.
Ich nähe beige Stoffvorhänge für unsere Regale, damit das Farbenchaos innen die meiste Zeit versteckt ist.
Wir haben weiße Wände und keine Poster oder Bilder aufgehängt.
Unsere Möbel sind aus Holz und nicht lackiert.
Ich mache viele Dinge selbst oder ändere sie ab, weil die käuflichen Versionen für meine Reizverarbeitung die Hölle sind.
Meine Onlinepräsenz ist ebenfalls ein sicherer Ort für mich. Die Farben, die ich hier wähle, sind für mich zugänglich (eine offensichtliche Ausnahme ist dieser Beitrag). So kann ich teilnehmen, ohne unnötig zu leiden.
Aber es gibt auch in meinem eigenen zu Hause Dinge, die ich nicht kontrollieren kann. Insbesondere Verpackungen. Firmen tendieren dazu, ihre Verpackungen grell farbig zu gestalten, um die Aufmerksamkeit der Kunden zu erhaschen. Natürlich schlägt das meist fehl, weil jeder seine Verpackungen grell farbig gestaltet. Und so ergibt sich lediglich für mich eine Welt voller grell farbiger Verpackungen. Vielen Dank auch.
VIEL EXTRA ZEIT UND ANSTRENGUNG
Ein Aspekt von Farbhypersensibilität ist, dass jedes Teil, das ich kaufe, extra Aufmerksamkeit benötigt.
Oft muss ich Dinge kaufen, die für mich schädlich sind, weil wir sie brauchen und eine zugängliche Version nicht erhältlich ist, ich sie aktuell nicht erforschen kann, oder wir sie uns nicht leisten können.
In Läden einzukaufen ist ein überladendes Erlebnis von Farben, Chaos, Licht, Geräuschen, Gerüchen, und Menschen. Meist finde ich nichts, was für mich funktionieren würde. Also kaufe ich meist online ein. Ich verbringe Stunden damit, mich durch überladende Produktbilder zu wühlen, um die Dinge zu finden, die für mich funktionieren.
FARBE IST EINE FRAGE DER BARRIEREFREIHEIT
Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass Farbhypersensibilität existiert und das ist an sich schon ein Riesenproblem. Ich bekomme oft abwertende, schädliche Kommentare, wenn ich auf ein Problem mit Barrierefreiheit in Bezug auf Farben hinweise.
Ich verstehen, dass viele Menschen Farben lieben. Für die Meisten macht es Orte einladender, freundlicher, und das ist auch vollkommen legitim. Also vermeide ich die Welt so gut es geht. Es gibt aber Dinge, die ich nicht einfach vermeiden kann.
Insbesondere alles, was mit dem Gesundheitswesen zu tun hat. Arztpraxen, Krankenhäuser, und Therapie- oder Behandlungszentren jedweder Art. Barrierefreie Orte zu finden, an denen ich gesundheitlich versorgt werden kann, ist schwierig. Und wenn ich in einer schädlichen Umgebung sein muss, werde ich höchstwahrscheinlich körperlich darunter leiden.
Ein weiterer Punkt sind Umgebungen, die mit Bildung zu tun haben. Schulen, Klassenräume, Konferenzzentren, Kongressräume und so weiter und so fort. Dinge wie Bücher und Programme können ebenfalls ein großes Problem darstellen.
Und letztendlich, was mir sehr am Herzen liegt: alles, was mit Autismus zu tun hat. Veranstaltungen, Webseiten, Informationsmaterial, Treffpunkte, Fotos, Videos, Logos – überall Farben.
Ich liebe das Unendlichkeitssymbol als Symbol für Autismus – aber sobald es in Regenbogenfarben abgebildet wird, wird es für mich unzugänglich. Ich liebe eine Gegenkampagne zu „Light it up blue“ – aber sobald es „Red instead“ wird, wird es für mich unzugänglich. Ich liebe es, wenn Organisationen sich von schädlichen Symbolen wie Puzzleteilen trennen – aber sobald es stattdessen ein buntes Logo wird, wird es für mich unzugänglich.
Ich wünschte, ich könnte Farben einfach lieben. Aber das kann ich nicht. Vielleicht hilft dieser Beitrag Menschen dabei, zu verstehen. Es würde mir sehr viel bedeuten, wenn Menschen sich die Benutzung von Farben bewusster machten. Ganz besonders in offiziellen und fachlichen Zusammenhängen, die eigentlich barrierefrei sein sollten.
Schreibe einen Kommentar