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BEHINDERTENWERKSTATT – ÜBERSICHT
Willkommen zu Teil 1 meiner Blogserie „BEHINDERTENWERKSTÄTTEN“
Der gesamte Inhalt dieser Serie:
TEIL 1 – ÜBERSICHT
TEIL 2 – BEHINDERTENWERKSTÄTTEN UND AUTISMUS
TEIL 3 – PERSÖNLICHE ERFAHRUNG
TEIL 4 – ARBEITSBEISPIELE
TEIL 5 – SOLLTEN BEHINDERTENWERKSTÄTTEN ABGESCHAFFT WERDEN?
Bitte beachten, dass ich mich in Deutschland befinde und bestimmte Dinge in anderen Ländern anders sein können.
WAS BEHINDERTENWERKSTÄTTEN SIND
Werkstätten für behinderte Menschen sind segregierte Einrichtungen, in denen behinderte Menschen für weit unter Mindestlohn arbeiten. Sie sind als vorübergehende Beschäftigungsplätze für behinderte Menschen gedacht, die sie darauf vorbereiten sollen, Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden und zu halten.
In einer Werkstatt für behinderte Menschen gibt es verschiedene Abteilungen und jede Abteilung stellt eine andere Art von Arbeit. Übliche Abteilungen in Werkstätten sind Metallverarbeitung, Schreinerei, Näherei, Postbearbeitung, Verwaltung, Lager, Gärtnerei, und Hauswirtschaft.
Werkstätten für behinderte Menschen bekommen Aufträge für Waren oder Dienstleistungen von privaten und gewerblichen Auftraggebern. Die behinderten Menschen stellen diese Waren dann her oder vollbringen diese Dienstleistungen.
FÜR WEN BEHINDERTENWERKSTÄTTEN SIND
Um zur Aufnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen berechtigt zu sein, muss man offiziell als „unfähig mindestens 3 Std./Tag auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten“ gelten. Man muss außerdem in der Lage sein, ein “Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung” zu erbringen – das bedeutet, Werkstätten können Menschen ablehnen, die sie als zu behindert betrachten.
Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sind, sind rechtlich keine Arbeitnehmer. Sie sind in “arbeitnehmerähnlicher Beschäftigung”. Das bedeutet der Hauptzweck der Beschäftigung ist nicht das “Erbringen wirtschaftlich verwertbarer Leistungen”, sondern eine “angemessene Beschäftigung”.
In Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten auch Menschen mit regulären Jobs, die die behinderten Menschen anweisen, ihnen helfen, sie managen, und beaufsichtigen.
GELD VERDIENEN IN BEHINDERTENWERKSTÄTTEN
Zum Verfassungszeitpunkt dieses Artikels ist die Bezahlung in Werkstätten für Behinderte wie folgt:
– 67€/Monat im 1. Jahr
– 80€/Monat im 2. Jahr
– 80€ + leistungsbasierte Zusatzzahlung nach dem 2. Jahr + bis zu 52€ solange die Gesamtsumme unter 351€ beträgt
Deutschlandweit erhalten Beschäftigte in Behindertenwerkstätten durchschnittlich eine Gesamtsumme von 185€/Monat.
Bezieht eine behinderte Person staatliche Leistungen, wird ein Teil des Werkstattgehalts als Einkommen angerechnet.
Behinderte Menschen, die zusätzliche Hilfen, wie etwa betreutes Wohnen, benötigen sind dazu verpflichtet, 50% ihres Werkstattgehalts über 52€ zur Zahlung dieser Leistungen zu verwenden.
Zusätzlich zum Werkstattgehalt zahlt der Leistungsträger außerdem für jede behinderte Person, die in einer Werkstatt beschäftigt ist, einen Beitrag in die Rentenversicherung ein. Behinderte Menschen, die in Werkstätten beschäftigt sind, können nach 20 Jahren in Erwerbsminderungsrente gehen. Die durchschnittliche Bruttorente liegt bei 800€.
VORTEILE VON BEHINDERTENWERKSTÄTTEN
Bitte beachten, dass diese Vorteile nicht zwingend auf jede Werkstatt zutreffen, und dass sie eigentlich laut Behindertenrechtskonvention in der allgemeinen Gesellschaft und regulären Arbeitsplätzen vorhanden sein sollten, nicht nur in Behindertenwerkstätten.
EIN SICHERER ORT
Jeder Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen ist behindert. Das bedeutet, Anderssein ist die Norm und mit allen Stärken und Schwächen akzeptiert. Dies ist das komplette Gegenteil von dem, was die meisten behinderten Menschen in unserer Gesellschaft erleben.
STRUKTUR UND SINNHAFTIGKEIT
Werkstätten für behinderte Menschen können diesen Struktur bieten. Der Arbeitsplan bietet verlässliche Gleichheit und Sicherheit, worum man sein Leben organisieren kann.
Werkstätten für behinderte Menschen können diesen außerdem Sinnhaftigkeit geben. Sie können einem das Gefühl vermitteln, seinen Teil zur Gesellschaft beizutragen.
DAS PERSONAL
Die Belegschaft besteht meist aus gut gebildeten Fachleuten. Diese sind darauf vorbereitet, bei der Lösung von Problemen der Führung der Beschäftigten zu folgen. Hauptaufgabe der Belegschaft ist es, die Bedürfnisse und Interessen der behinderten Menschen zu wahren.
HOCHFLEXIBLE ANPASSUNGSMÖGLICHKEITEN
Der grundliegende Zweck von Werkstätten für behinderte Menschen ist es, deren Stärken und Schwächen zu entdecken und zu verstehen, um ein gesundes, funktionales Arbeitsumfeld für sie zu schaffen. Probleme zu lösen und Anpassungen zu treffen, sind die Basis hierfür.
NACHTEILE VON BEHINDERTENWERKSTÄTTEN
AUSBEUTUNG
Die meisten Menschen in Werkstätten arbeiten Vollzeit (35-40 Std/Woche) für durchschnittlich 1,20€/Std.
Wenn eine behinderte Person, die in einer Werkstatt beschäftigt ist, einen Außenarbeitsplatz erhält, mit dem Ziel auf den ersten Arbeitsmark zu wechseln, bleibt ihre Bezahlung bei niedrigen 4-6€/Std. Davon darf sie nur 50% behalten, die anderen 50% erhält die Werkstatt.
Selbst wenn man Werkstattgehalt plus staatliche Leistungen rechnet, in dem Gedanken, dass behinderte Menschen arbeiten gehen, um sämtliches Geld zu verdienen, das sie erhalten, kommen wir nur auf durchschnittlich 5,75€/Std. Mindestlohn ab Januar 2019 ist 9,19€/Std.
All das während Werkstätten für alle, außer den in ihnen beschäftigten behinderten Menschen, echte Geldmacherei sind. Dieses gesamte System macht finanzielle Unabhängigkeit unmöglich.
WECHSEL AUF DEN ERSTEN ARBEITSMARKT SIND EXTREM SELTEN
Die Zahl der Menschen, die tatsächlich zu regulären Jobs wechseln, bleibt konstant unter 1%. Für die überwältigende Mehrheit behinderter Menschen sind Werkstätten Einbahnstraßen.
Meiner eigenen Erfahrung nach ist es auch keine Priorität, Menschen in reguläre Jobs zu bekommen. Werkstätten sind froh, wenn sie hart arbeitende Menschen finden, die ihnen Geld verdienen und damit zufrieden sind, den Rest ihres Lebens dort zu arbeiten.
MANIPULIERTE ARBEITSLOSENZAHLEN
Obwohl behinderte Menschen in Werkstätten legal nicht als Arbeitnehmer gelten, so gelten sie doch auch nicht als arbeitslos. Das bedeutet, dass 300.000 behinderte Menschen in Werkstätten offiziell 300.000 weniger Arbeitslose sind. Welch eine Art, Arbeitslosenzahlen zu manipulieren!
SEGREGIERUNG STATT INKLUSION
Werkstätten für behinderte Menschen sind segregiert. Zum Einen segregieren sie behinderte Menschen vom Rest der Gesellschaft. Zum Anderen segregieren Werkstätten auch nach Art der Behinderung. Es gibt Werkstätten für körperlich behinderte Menschen, Werkstätten für psychisch behinderte Menschen, und Werkstätten für geistig behinderte Menschen.
Unsere Gesellschaft wird niemals inklusiv werden, solange wir die Menschen segregieren, die wir einschließen müssen.
ISOLATION GEFÄHRDET BEHINDERTE MENSCHEN
Werkstätten für behinderte Menschen sind Teil eines Systems, das behinderte Menschen extrem isoliert zurücklassen kann. Und je isolierter jemand ist, desto größer das Risiko für Missbrauch.
Man stelle sich eine behinderte Person vor, die in einem Wohnheim lebt und in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt ist. Sie lebt von Fachleuten umgeben. In der Werkstatt wird sie von Fachleuten betreut. Sie geht zu Therapien von Fachleuten begleitet. Behandlungen werden von Fachleuten durchgeführt.
Alle Kontaktpersonen sind Fachleute, die Teil des Systems sind. Diese Menschen handeln vielleicht nicht im besten Interesse der behinderten Person, sondern in ihrem eigenen.
Dies macht behinderte Menschen verletzbar durch Missbrauch. Es kann außerdem für behinderte Menschen schwierig bis unmöglich werden, Missbrauch anzuzeigen, und aus missbräuchlichen Situationen zu entkommen.
GELERNTE HILFLOSIGKEIT UND EINSCHRÄNKUNGEN
Werkstätten für behinderte Menschen sollen diesen alle notwendigen Fähigkeiten vermitteln, um reguläre Jobs finden und halten zu können. In der Realität vermitteln sie ihnen meist nur sehr begrenzte, spezialisierte Fähigkeiten, die es diesen Menschen nur ermöglichen, in den werkstatteigenen Abteilungen zu arbeiten.
ANPASSUNGEN NICHT GRENZENLOS
Die meisten Werkstätten für behinderte Menschen sind angelegt wie Großraumbüros. Sie haben große Räume, in denen Gruppen von Menschen zusammen arbeiten. Einzelräume sind selten bis gar nicht vorhanden. Dies stellt für bestimmte Behinderungen, wie z.B. Autismus, eine große Hürde dar.
Heimarbeit könnte hierfür eine Lösung sein. Leider bieten Werkstätten für behinderte Menschen dies nicht an, da körperlich am Werkstattstandort anwesend zu sein verbindlich ist.
FAZIT
Die Vorteile von Werkstätten für behinderte Menschen haben einen positive Effekt auf das Leben vieler der Beschäftigten. Allerdings sollten diese Vorteile in der allgemeinen Gesellschaft und regulären Jobs gegeben sein, damit Menschen nicht in Werkstätten gezwungen werden.
Des Weiteren muss man in Frage stellen, ob diese Vorteile die vorhandenen Probleme aufwiegen und rechtfertigen können.
Der nächste Post dieser Serie ist TEIL 2 – BEHINDERTENWERKSTÄTTEN UND AUTISMUS.
Der gesamte Inhalt dieser Serie:
TEIL 1 – ÜBERSICHT
TEIL 2 – BEHINDERTENWERKSTÄTTEN UND AUTISMUS
TEIL 3 – PERSÖNLICHE ERFAHRUNG
TEIL 4 – ARBEITSBEISPIELE
TEIL 5 – SOLLTEN BEHINDERTENWERKSTÄTTEN ABGESCHAFFT WERDEN?
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