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VORSTELLUNG DES HOLISTISCHEN MODELLS VON BEHINDERUNG
WAS IST BEHINDERUNG?
Bevor eine sinnvolle Diskussion über Behinderung stattfinden kann, müssen wir zuerst definieren, was Behinderung ist. Nur, wenn wir die selbe Definition von Behinderung benutzen, können wir sicherstellen, dass wir über die selben Dinge sprechen.
Wie man „Behinderung“ definiert, hängt von der Linse ab, durch die man sie betrachtet. Wir nennen diese Linsen Modelle von Behinderung.
Modelle von Behinderung existieren als Werkzeuge für die praktische Anwendung. Sie sind nicht als rein theoretische Diskussionspunkte gedacht. Modelle von Behinderung versuchen darzustellen, was Behinderung ist, und was die Ursachen von Behinderung sind. Dies erlaubt Feststellungen darüber zu machen, mit welchen Problemen behinderte Menschen konfrontiert sind und warum. Ausserdem, liefert es eine Basis dafür, wie ihr Leben verbessert werden kann.
Die aktuell meist angewandten Modelle von Behinderung sind das Medizinische Modell von Behinderung, und das Soziale Modell von Behinderung. Schauen wir uns also beide einmal genau an.
DAS MEDIZINISCHE MODELL VON BEHINDERUNG
Das Medizinische Modell von Behinderung sagt “Die Beeinträchtigung einer Person verursacht deren Behinderung.”
Menschen, die das Medizinische Modell von Behinderung benutzen, sehen die Beeinträchtigung einer Person als ein medizinisches Problem, dass man medizinisch lösen muss. Deshalb heißt es das MEDIZINISCHE Modell von Behinderung.
Folglich haben Menschen, die das Medizinischen Modell von Behinderung nutzen, das Ziel, die Beeinträchtigungen von Menschen zu behandeln, oder zu heilen. Sie versuchen dies mit medizinischen Ansätzen wie beispielsweise Medikamenten, medizinischen Interventionen, und Therapien.
Kurzgefasst: Der Ansatz des Medizinischen Modells ist es, die behinderte Person weniger behindert zu machen, indem die behinderte Person und/oder deren Beeinträchtigung verändert wird.
PROBLEME MIT DEM MEDIZINISCHEN MODELL VON BEHINDERUNG
Das Medizinische Modell von Behinderung berücksichtigt nur die inhärenten Beeinträchtigung einer Person. Es missachtet alle anderen möglichen behindernden Faktoren.
Menschen, die von inhärenten Faktoren behindert werden, existieren. Beeinträchtigungen, die in Kombination mit zusätzlichen sozialen Barrieren zu Behinderungen werden, existieren jedoch ebenfalls.
Menschen, die das Medizinische Modell von Behinderung benutzen, behaupten oft, dass soziale Barrieren nicht existieren. Sie verlangen, dass behinderte Menschen sich an die Welt anpassen. Sie behaupten, dass Behinderung ausnahmslos von der inhärenten Beeinträchtigung einer Person stammt.
Dieser Ansatz verhindert, dass soziale Barrieren erkannt und abgebaut werden. Er verhindert außerdem, dass behinderte Menschen notwendige Hilfen erhalten. Letztendlich hält dieser Ansatz soziale Barrieren aufrecht, und hält behinderte Menschen für immer durch sie behindert.
Das Medizinische Modell anzuwenden, kann außerdem zu internalisiertem Ableismus in behinderten Menschen führen. Sie verinnerlichen den in der Gesellschaft weit verbreiteten Glauben, dass Behinderung schlecht ist, dass sie als behinderter Mensch selbst schlecht sind, und dass sie eine Last sind. Dies kann negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die psychische Gesundheit behinderter Menschen haben.
Zusätzlich verursacht Behinderung als ein Problem ausschließlich verursacht von der Beeinträchtigung eines Menschen, zu sehen dazu, dass behinderte Menschen nicht hilfreichen, oder gar schädlichen Behandlungen ausgesetzt werden. Ihre Beeinträchtigung zu beheben wird als das ultimative Ziel angesehen, ungeachtet der negativen Auswirkungen auf behinderte Menschen, ihrer Autonomie, und eigenem Handlungsvermögen.
WARUM DAS MEDIZINISCHE MODELL SOZIALE URSACHEN VON BEHINDERUNG NICHT MIT EINSCHLIESST
Das Medizinische Modell von Behinderung wurde von nichtbehinderten Menschen erschaffen. Wie es Behinderung sieht, basiert daher auf der Sicht eines außenstehenden Beobachters. Nichtbehinderte Menschen erkennen, dass eine behinderte Person etwas nicht tun kann. Sie erkennen die Beeinträchtigung der Person, und ziehen den Schluss, dass diese das Problem verursachen muss. Sie haben nicht den notwendigen Einblick, um zu verstehen, dass zusätzliche äußere Barriere ebenfalls behindern können.
Das Medizinische Modell von Behinderung spiegelt außerdem wieder, wie die Gesellschaft behinderte Menschen sieht. Sie sind Tragödien, Belastung, oder wenn sie ihre Behinderung „überwinden“ Inspirationen.
DAS SOZIALE MODELL VON BEHINDERUNG
Das Soziale Modell von Behinderung sagt “Soziale Barrieren zusätzlich zur Beeinträchtigung einer Person verursachen deren Behinderung.“
Menschen, die das Soziale Modell von Behinderung benutzen, sehen Behinderung als etwas, das die Gesellschaft einer Person antut. Sie sehen sie nicht als etwas, das eine Person inhärent aufgrund ihrer Beeinträchtigung erlebt. Sie sehen zusätzliche soziale Barrieren als Grund dafür, dass eine beeinträchtigte Person behindert wird. Deshalb heißt es das SOZIALE Modell von Behinderung.
Folglich haben Menschen, die das Soziale Modell von Behinderung benutzen, das Ziel, soziale Barrieren zu identifizieren und abzubauen. Dazu benutzen sie beispielsweise mehr Verständnis und Akzeptanz, die Erfüllung behinderungsbezogener Bedürfnisse, sowie Gesetze.
Kurzgefasst: Der Ansatz des Sozialen Modells ist es, die behinderte Person weniger behindert zu machen, indem behindernde Faktoren in der Gesellschaft verändert werden.
PROBLEME MIT DEM SOZIALEN MODELL VON BEHINDERUNG
Das Soziale Modell von Behinderung sagt aus, dass die Beeinträchtigung einer Person selbst keine Behinderung ist. Dass Behinderung immer von zusätzlichen sozialen Faktoren verursacht wird.
Behinderte Menschen, die nur von zusätzlichen sozialen Faktoren behindert werden, existieren. Beeinträchtigungen, die inhärent Behinderungen sind, existieren jedoch ebenfalls. Beeinträchtigungen, die mit zusätzlichen Faktoren der natürlichen Umgebung behindernd werden, existieren ebenfalls.
Wenn behinderte Menschen ansprechen, wie ihre Beeinträchtigung sie inhärent behindert, behaupten Andere oft, dass ihre Erfahrungen nicht stimmen. Dass es niemals ihre Beeinträchtigung ist, sondern immer zusätzliche soziale Barrieren, die sie behindern.
Es ist wichtig, behinderten Menschen dabei helfen, zusätzliche soziale Barrieren zu identifizieren und abzubauen. Gleichzeitig sollten wir es gleichzeitig ermöglichen, sich mit inhärente Barrieren zu befassen.
Menschen, die das Soziale Modell benutzen, machen häufig generalisierte Aussagen wie „Niemand leidet unter seiner Beeinträchtigung.“, „Es ist nicht ihre Beeinträchtigung, die behinderte Menschen behindert, es ist die Gesellschaft!“, und „Behinderte Menschen wollen und brauchen keine Heilung für ihre Beeinträchtigung!“.
Es ist wichtig, sich gegen schädliche Menschen zu stellen, und behinderte Menschen unterstützen, für die ihr Behindertsein nicht negativ ist. Gleichzeitig sollten wir es ermöglichen, dass behinderte Menschen inhärente Probleme besprechen können.
Menschen die das Soziale Modell benutzen behaupten manchmal, dass behinderte Menschen, die inhärente Behinderung besprechen, unter internalisiertem Ableismus leiden. Dass sie nur von den negativen Ansichten der Gesellschaft zu Behinderung überzeugt wurden, und sich nun ebenso sehen.
Es ist wichtig, internalisierten Ableismus zu identifizieren und zu entlernen. Gleichzeitig können viele behinderte Menschen ihre Erfahrungen durchaus objektiv analysieren. Sie sind in der Lage zwischen inhärenten und äußeren behindernden Faktoren zu unterscheiden. Sie können außerdem internaliserten Ableismus erkennen.
Menschen, die das Soziale Modell benutzen, beschuldigen behinderte Menschen, die inhärente Behinderung besprechen manchmal, „in die Hände von schädlichen Menschen zu spielen“. Manchmal behaupten sie sogar, sie würden ihrer eigenen Gemeinschaft zu schaden, weil sie „Behinderung als etwas Schlechtes darstellen“.
Es ist wichtig, sich gegen Menschen zu stellen, die unsere Worte missbrauchen. Gleichzeitig sollten wir behinderte Menschen die inhärente Behinderung besprechen unterstützen. Wir können und sollten aufzeigen, wenn eine behinderte Person falsche Rückschlüsse zieht. Wir sollten versuchen sie aufzuklären und ihr zu helfen. Gleichzeitig sollten wir anerkennen und respektieren, dass behindert zu sein für einige behinderte Menschen negative Aspekte hat.
WARUM DAS SOZIALE MODELL VON BEHINDERUNG NICHT MIT INHÄRENTEN URSACHEN VON BEHINDERUNG INBEGRIFFEN KREIERT WURDE
Das Soziale Modell von Behinderung hat seinen Ursprung in der Gemeinschaft körperlich beeinträchtigter Menschen. Im Jahr 1976 hat die Union of the Physically Impaired Against Segregation (UPIAS), eine Behindertenrechtsorganisation die 1972 in England gegründet wurde, ein Pamphlet mit dem Titel “THE UNION OF THE PHYSICALLY IMPAIRED AGAINST SEGREGATION and THE DISABILITY ALLIANCE discuss Fundamental Principles of Disability” (“DIE UNION DER KÖRPERLICH BEEINTRÄCHTIGTEN GEGEN SEGREGATION und DIE BEHINDERUNGSALLIANZ diskutieren Fundamentale Prinzipien von Behinderung“, Übersetzung aus dem Englischen) veröffentlicht.
In dem Pamphlet definiert UPIAS Behinderung wie folgt (Übersetzung aus dem Englischen):
„Unserer Ansicht nach ist es die Gesellschaft, die körperlich beeinträchtigte Menschen behindert. Behinderung ist etwas, dass uns zusätzlich zu unseren Beeinträchtigungen auferlegt wird, indem wir unnötigerweise isoliert und von vollständiger Teilhabe in der Gesellschaft ausgeschlossen werden.”
UPIAS machte hiermit eine klare Unterscheidung zwischen “Beeinträchtigung” und “Behinderung”. Diese wurde die Basis für das Soziale Modell von Behinderung.
UPIAS sagte aus, dass während andere Gruppen behinderter Menschen viele Kämpfe mit körperlich beeinträchtigten Menschen gemeinsam hätten, es auch deutliche Unterschiede gäbe, und ihre Organisation war speziell für körperlich beeinträchtigte Menschen.
Im Jahr 1983 prägte Mike Oliver [1945-2019] den Begriff “Soziales Modell von Behinderung”. Er sagte, dass er „die Idee des Individuellen und Sozialen Modells einfach und eindeutig von der Unterscheidung zwischen Beeinträchtigung und Behinderung die die Union of the Physically Impaired Against Segregation gemacht hat übernommen hat“ (Oliver, 1990, Übersetzung aus dem Englischen).
Das Soziale Modell von Behinderung wurde kreiert, um das bis dahin dominante Medizinische Modell zu kontern. Behindertenrechtsaktivisten identifizierten korrekterweise was dem medizinischen Modell fehlte. Dies nutzen sie als Basis für ihr neues Modell von Behinderung.
Das Soziale Modell von Behinderung wurde ursprünglich von und für körperlich beeinträchtigte Personen geschaffen. Insbesondere von jenen die fanden, dass sie nicht inhärent von ihren Beeinträchtigungen behindert wurden, sondern von zusätzlichen sozialen Barrieren.
Das Soziale Modell wurde nicht in der Absicht geschaffen, vollständig inklusiv zu sein. Es wurde geschaffen, um ganz speziell, aktiv dem bis dahin dominanten Medizinischem Modell entgegen zu wirken. Es besagte bewusst, dass Menschen mit Einschränkungen nicht inhärent behindert sind – sondern aktiv von der Gesellschaft behindert werden.
Dies erlaubte es behinderten Menschen, soziale Barrieren zu benennen, und deren Abschaffung zu verlangen, anstatt medizinischen Interventionen ausgesetzt zu sein, und selbst als Ursache ihrer Probleme gesehen zu werden. Es erlaubte ihnen außerdem, sich zu vernetzen und gegen die Ursachen ihrer Behinderungen anzugehen.
VORSTELLUNG DES HOLISTISCHEN MODELLS VON BEHINDERUNG
WARUM EIN NEUES MODELL VON BEHINDERUNG?
Ich habe die vorhandenen Modelle von Behinderung ausgiebig betrachtet. Letztendlich kam ich zu der Erkenntnis, dass sie alle nur bestimmte Teile von Behinderung betrachten. Kein Modell bietet ein komplettes Bild.
Theoretisch wäre dies kein Problem, würden Menschen mehrere Modelle zusammen benutzen, um ein komplettes Bild von Behinderung zu schaffen. Praktisch jedoch passiert dies nicht. Menschen wählen ein Modell und agieren ausschließlich von diesem Modell aus. Zusätzlich verneinen sie häufig jegliche Gültigkeit anderer Modelle oder Erfahrungen mit Behinderung.
Dies führt zu negativen Auswirkungen für jene behinderte Menschen, die nicht sauber in ein populäres Modell von Behinderung passen. Je akzeptierter ein Modell wird, desto weniger akzeptiert werden andere Modelle und Erfahrungen, desto prominenter werden diese negativen Auswirkungen.
Aufgrund dieser Tatsachen empfand ich, dass ich ein allumfassendes Modell von Behinderung brauchte. Deshalb habe ich versucht, mit dem Holistischen Modell von Behinderung eines zu schaffen.
WARUM “HOLISTISCHES” MODELL VON BEHINDERUNG?
Genau wie andere Modelle von Behinderung, ist das Holistische Modell von Behinderung danach benannt, was es als Ursache für Behinderung ansieht:
“Holistisch” bedeutet ganzheitlich. Es bedeutet, jedes einzelne Teil eines Ganzen in Betracht zu ziehen, weil jedes einzelne Teil das Ganze beeinflusst und formt. Das Holistische Modell von Behinderung zieht folglich alle möglichen Ursachen für Behinderung in Betracht.
Das Holistische Modell von Behinderung definiert Behinderung wie folgt:
Behinderung ist jede körperliche, neurologische, psychische, intelektuelle, oder sensorische Beeinträchtigung, die für sich selbst und/oder in Interaktion mit zusätzlichen inhärenten und/oder äußeren Faktoren die volle, effektive, und gleichwertige Teilhabe an allen Aspekten von Leben und Gesellschaft behindern kann. Behinderung kann vorrübergehend oder dauerhaft sein. Sie kann in der Gebärmutter, oder von Geburt an präsent sein, oder zu jedem späteren Zeitpunkt im Leben auftreten.
DIE LEITPRINZIPIEN DES HOLISTISCHEN MODELLS VON BEHINDERUNG
Das Holistische Modell von Behinderung erkennt die Tatsache an, dass die Erfahrung von Behinderung jeder behinderten Person von ihrer individuellen Zusammenstellung an behindernden Umständen abhängt. Folglich beeinflusst jeder Aspekt der Zusammenstellung an behindernden Umständen einer behinderten Person, was ihr Leben verbessern würde und könnte.
Nach dem Holistischen Modell von Behinderung sind „Beeinträchtigung“ und „Behinderung“ Begriffe, frei von jedem Werturteil. Es liegt bei jeder behinderten Person, zu entscheiden, ob sie ihre Beeinträchtigung und/oder Behinderung als neutral, positiv, oder negativ sieht. Niemand kann diese Art Werturteil für eine behinderte Person fällen.
Das Holistische Modell von Behinderung erkennt an, dass gegensätzlichen behinderungsbezogene Bedürfnissen existieren. Was sich positiv auf eine behinderte Person auswirkt, kann sich negativ auf eine Andere auswirken.
Das Holistische Modell von Behinderung erkennt an, dass die Intersektion von Behinderung mit anderen Teilen der Identität eines Individuums dessen Erfahrung mit Behinderung beeinflussen kann (z.B. Rasse, Klasse, Geschlecht, sexuelle Orientierung, romantische Orientierung, Alter, Bildung).
“Nichts über uns ohne uns.“ muss die Basis jeder und aller Angelegenheiten in Verbindung mit Behinderung sein.
QUACKSALBEREI UND SCHÄDLICHE MASSNAHMEN
Das Holistische Modell von Behinderung erkennt an, dass eine Beeinträchtigung inhärente Behinderung verursachen kann. Es erkennt an, dass medizinische Maßnahmen notwendig, und von behinderten Menschen gewollt sein können. Es unterstützt jedoch weder Quacksalberei, noch schädliche Maßnahmen.
BEISPIELE FÜR QUACKSALBEREI UND SCHÄDLICHE MASSNAHMEN:
– die Benutzung von GEDs (Graduated Electronic Decelerator) und ähnliche Elektroschockfolter
– ABA (Applied Behavior Analysis – Angewandte Verhaltensanalyse), PBS (Positive Behavior Supports – Positive Verhaltensunterstützung) und ähnliche verhaltensverändernde Ansätze
– MMS (Miracle Mineral Solution), das CD-Protokoll (Chlorine Dioxide), Chelatisierung, und ähnliche bleichmittel- und chemiekalienbasierte Folter
– Fäkaltransplantation für alles außer C. difficile colitis
– restriktive Ernährung für nicht ernährungsbasierte Beeinträchtigungen
– Hyperbare Sauerstofftherapie und andere Sauerstofftherapien für alles was nichts mit dem Blutsauerstoffgehalt zu tun hat
– das Vorenthalten von Kommunikationsmethoden wie Gebärdensprache, AAC, usw.
– das Vorenthalten von Mobilitätshilfen
– chemische und körperliche Fixierung in nicht akut lebensbedrohlichen Umständen
– Neurofeedback
– Haltetherapie
– Homöopathie
Behandlungen und Maßnahmen sollten nur mit aufgeklärtem Einverständnis der behinderten Person stattfinden.
SYSTEMISCHER ABLEISMUS
Das Holistische Modell von Behinderung erkennt an, dass systemischer Ableismus existiert. Es hat den Abbau desselben zum Ziel.
BEISPIELE FÜR SYSTEMISCHEN ABLEISMUS:
– keine Barrierefreiheit
– Behindertenwerkstätten und Bezahlung unter Mindestlohn
– Segregation
– Institutionalisierung
– Eugenik
– Verletzungen von Behindertenrechtsgesetzen
– behinderte Menschen als weniger wert sehen und behandeln
– nichtbehinderte Menschen die für und über behinderte Menschen hinweg sprechen
URSACHEN FÜR BEHINDERUNG LAUT HOLISTISCHEM MODELL VON BEHINDERUNG
Das Holistische Modell von Behinderung erkennt an, dass vielfältige Faktoren dafür sorgen können, dass eine Person mit körperlicher, neurologischer, psychischer, intellektueller, oder sensorischer Beeinträchtigung behindert wird.
Behinderung kann inhärent von der Beeinträchtigung einer Person verursacht werden. In diesem Fall ist die Beeinträchtigung einer Person ihre Behinderung.
Behinderung kann von einem oder mehreren äußeren Faktoren zusätzlich zur Beeinträchtigung einer Person verursacht werden. In diesem Fall ist die Behinderung einer Person ihre Beeinträchtigung plus dem zusätzlichen äußeren Faktor.
Behindernde Faktoren können ineinandergreifend, und/oder nebeneinander bestehend sein. Ein Faktor kann den anderen beeinflussen, oder sie beeinflussen die Behinderung der Person, beeinflussen sich aber nicht gegenseitig.
Behinderung kann ausschließlich von inhärenten Faktoren, ausschließlich von äußeren Faktoren, oder von einer Kombination beider verursacht werden.
Behinderung verursachende Faktoren, sowie deren behindernde Auswirkungen, können individuell, wechselnd, und fluktuierend sein. Die gleichen, ähnliche, oder unterschiedliche Faktoren können zwei Menschen mit der gleichen Beeinträchtigung behindern.
Was zu einem Zeitpunkt eine Behinderung verursacht, verursacht möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt keine Behinderung. Behindernde Auswirkungen, die eine Person erlebt, kann sich verändern. Die Schwere, zu der eine Person behindert ist, kann sich verändern.
Behinderung kann in der Gebärmutter, oder von Geburt an präsent sein, oder zu jedem Zeitpunkt später im Leben auftreten. Sie kann vorrübergehend sein, oder dauerhaft. Es ist zu beachten, dass der meiste Diskurs um Behinderung sich auf dauerhafte Behinderungen bezieht. Dies wird oft nicht speziell erwähnt, wahrscheinlich aus praktischen Gründen.
PRAKTISCHE ANWENDUNG DES HOLISTISCHEN MODELLS VON BEHINDERUNG
Das Holistische Modell von Behinderung ist ein theoretisches Gerüst für die praktische Anwendung. Es dient zwei Hauptzwecken. Zum Einen ist es ein Gerüst für das Erkennen und Verstehen der vielfältigen Faktoren, die zu Behinderung beitragen. Zum Zweiten ist es ein Gerüst, um Behinderung durch das Minimieren behindernder Faktoren zu minimieren.
Das Holistische Modell von Behinderung erkennt allgemeine und individuelle Ansätze zur Minimierung von Behinderung an. Allgemeine Ansätze werden für mehr als eine individuelle behinderte Person umgesetzt, und wirken sich auf mehr als eine individuelle Person aus. Individuelle Ansätze werden für eine indivuelle behinderte Person umgesetzt, und wirken sich auf eine individuelle Person aus.
Allgemeine Ansätze sollten versuchen, so viele verschiedene behinderungsbezogene Bedürfnisse wie möglich abzudecken. Idealerweise bedeutet dies, mehr als eine Option anzubieten. Allgemeine Ansätze sollten idealerweise auch die Möglichkeit für Individualisierung mit eingebaut haben. So können sie nach Bedarf für individuelle behinderte Menschen angepasst werden.
EIN BEISPIEL FÜR DIE ANWENDUNG DES HOLISTISCHEN MODELLS VON BEHINDERUNG
Kell hat Migräne und Lichthypersensibilität. Um zu minimieren, wie behindert Kell ist, wendet Kell das Holistische Modell von Behinderung an.
INHÄRENT BEHINDERNDE FAKTOREN
– akute Migräneattacken verursachen schwere Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen, Schwindel, Sprachstörungen, und schwere Lichthypersensibilität
– akute Migräneattacken behindern Kell zum Punkt der Bettlägrigkeit, meist für etwa 8 Stunden pro Attacke
– Kells Menstruationszyklus und Veränderungen im Hormonspiegel lösen Migräne aus
– Lichthypersensibilität können Augenschmerzen, Kopfschmerzen, und Schwindel auslösen
MEDIZINISCHE MASSNAHMEN
– Hormonbehandlung, um Hormonspiegelschwankungen zu minimieren
– Schmerzmittel während akuter Migräneattacken
– spezielle Migränemedikamente, um Attacken zu verhindern, sowie während akuter Attacken
– Hormonpräparate um Hormonschwankungen auszugleichen
– mehr Forschung zu Migräne und besseren Behandlungsmöglichkeiten
– Heilung für Migräne
ZUSÄTZLICHE ÄUSSERE BEHINDERNDE FAKTOREN
– natürliche Umgebung (Sonnenlicht, reflektierende Oberflächen wie Wasser)
– von Menschen gemachte Umgebung [künstliches Licht, reflektierende Oberflächen wie Spiegel, Glass, Metall)
– soziale Regeln (Menschen die verlangen, dass Kell die Sonnenbrille abnimmt, um Augenkontakt herzustellen, oder um nicht unhöflich zu erscheinen)
– Kleidungsvorschriften und Kundenkontaktvorschriften auf der Arbeit (keine Sonnenbrille erlaubt in den Kleidungsvorschriften, Augenkontakt vorgeschrieben im Kundenkontakt was bedeutet, dass keine Sonnenbrille erlaubt ist)
– Kells Arbeitgeber droht Kell mit der Entlassung, falls oben genannten Vorschriften nicht Folge geleistet wird
INDIVIDUELLE UMGEBUNGSBEZOGENE MASSNAHMEN
– künstliches Licht dimmen oder ausschalten
– Sonnenlicht mit Rolläden oder Vorhängen blockieren
– Sonnenbrille tragen
– Umgebungsgeräusche minimieren
ALLGEMEINE UMGEBUNGSBEZOGENE MASSNAHMENK
– weniger grelles Licht in öffentlichen Räumen
– weniger reflektierende Oberflächen in öffentlichen Räumen
– schattige Plätze um direktes Sonnenlicht vermeiden zu können
INDIVIDUELLE SOZIALE MASSNAHMEN
– Menschen akzeptieren die Nutzung der Sonnenbrille
– Arbeitgeber akzeptiert die Nutzung der Sonnenbrille
ALLGEMEINE SOZIALE MASSNAHMEN
– ein Gesetz zum Schutz behinderter Menschen vor Entlassung auf Basis ihrer Behinderung
– ein Gesetz zum Schutz der Nutzung von Hilfsmitteln behinderter Menschen überall und jederzeit
– die tatsächliche Anwendung dieser Gesetze, damit behinderte Menschen auch tatsächlich geschützt werden
– mehr Aufklärung über Behinderung in der Gesellschaft
Dies ist nur ein Beispiel. Obwohl es lang ist, deckt es noch lange nicht Kells komplette Erfahrung mit Behinderung ab. Behinderung ist komplex. Und weil sie so komplex ist, muss sie mit allen Aspekten ihrer Komplexität anerkannt, verstanden, und sich auf die eingelassen werden. Nur dann können behinderte Menschen so gut wie möglich leben.
PERSÖNLICHE ABSCHLIESSENDE GEDANKEN
Als Selbstvertreter und später Autismus-Aktivist brauchte ich eine Linse für Behinderung, die für meine persönliche Erfahrung mit Behinderung, meine Selbstvertretung, sowie meinen Aktivismus funktionierte. Ich verstand früh, dass das Medizinische Modell von Behinderung nicht alle meine Erfahrungen mit Behinderung einschloss, und übernahm stattdessen das Soziale Modell. Allerdings stellte ich bald fest, dass dieses Modell ebenfalls nicht all meine Erfahrungen mit Behinderung einschloss.
Ich begann damit, mir mein eigenes Verständnis und meine eigene Definition von Behinderung zu erarbeiten. Dann bemerkte ich, dass andere behinderte Menschen mein Problem teilten. Dies führte dazu, zu versuchen, tatsächlich ein ordentliches Konzept auszuarbeiten.
Seitdem hat es fast zwei Jahre gedauert, dies zu schreiben. Der Prozess hat mir bereits viel dabei geholfen, Behinderung in ihrem gesamten Kontext zu verstehen. Ich veröffentliche dies in der Hoffnung, dass dieses Modell das Gleiche für Andere tun kann.
Behinderungsangelegenheiten sind komplex. Wissen und Verstehen verändern und entwickeln sich ständig. Aus diesem Grund sehe ich diese Niederschrift des Holistischen Modells von Behinderung gegenwärtig als eine fortlaufende Arbeit.
Ich hoffe, das Holistische Modell von Behinderung kann ein Werkzeug sein, um auf Verständnis, Unterstützung, Anpassungen, Akzeptanz, Inklusion, Barrierefreiheit, Autonomie, Handlungsmacht, Rechte, und Gerechtigkeit für behinderte Menschen hinzuarbeiten. Damit behinderte Menschen eine Chance auf vollständige und gleichwertige Teilhabe an allen Aspekten des Lebens und der Gesellschaft haben.
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