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BEHINDERTENWERKSTATT – PERSÖNLICHE ERFAHRUNG
Willkommen zu Teil 3 meiner Blogserie „BEHINDERTENWERKSTÄTTEN“
Der gesamte Inhalt dieser Serie:
TEIL 1 – ÜBERSICHT
TEIL 2 – BEHINDERTENWERKSTÄTTEN UND AUTISMUS
TEIL 3 – PERSÖNLICHE ERFAHRUNG
TEIL 4 – ARBEITSBEISPIELE
TEIL 5 – SOLLTEN BEHINDERTENWERKSTÄTTEN ABGESCHAFFT WERDEN?
Bitte beachten, dass ich mich in Deutschland befinde und bestimmte Dinge in anderen Ländern anders sein können.
WIE ICH IN DIE BEHINDERTENWERKSTATT KAM
Ich habe die meiste Zeit meines Lebens gekämpft. Je älter ich wurde, desto mehr musste ich kämpfen. Deshalb musste ich zwei Schulen frühzeitig verlassen. Dann habe ich verschiedene Jobs ausprobiert, aber bei jedem versagt. Letztlich erlitt ich einen schwerwiegenden Burnout, der mich ins Krankenhaus gebracht hat. Dann musste ich wieder von null anfangen.
Ich erhielt ein offizielles „unfähig wenigstens 3 Stunden am Tag auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten“ Label und einen Schwerbehindertenausweis. Aber ich wollte und musste arbeiten. Ein normaler Job war unmöglich, also entschied ich mich schließlich, eine Werkstatt für behinderte Menschen auszuprobieren.
Mein Ziel war es, dort zu arbeiten, um mich langsam zu erholen und, zum ersten Mal in meinem Leben, zu lernen was ich brauche, um gesund und arbeitsfähig zu sein. Dann wollte ich sobald möglich in einen regulären Job wechseln.
So kam es, dass ich begann, in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu arbeiten.
DAS EINGANGSVERFAHREN
Das Eingangsverfahren in einer Werkstatt dauert 3 Monate. In dieser Zeit wird viel getestet, ausgewertet, experimentiert, und sich zur Rückmeldung mit dem Personal getroffen. Alles dreht sich darum, herauszufinden ob die Werkstatt für einen der richtige Ort ist.
DER BERUFSBILDUNGSBEREICH
Die ersten 12 Monate der nächsten Phase sind für grundlegendes Training gedacht, wie sich einzugewöhnen, Materialien und Werkzeuge zu verstehen, und grundlegende Arbeitsabläufe zu erlernen.
Die zweiten 12 Monate sind für weiterführendes Training gedacht, wie Maschinen zu benutzen, unter Belastung zu arbeiten, und komplexere Arbeitsabläufe zu erlernen.
In meiner Werkstatt arbeiten in dieser Phase 6-8 Menschen in einem recht kleinen Raum zusammen. Es gibt eine Werkbank mit Werkzeugen und Maschinen. Es gibt Schränke mit diversen Materialien wie etwa Stoff, Farbe, Papier, Pinsel, Schürzen usw. Dann gibt es Tische und Stühle, die je nach Arbeit, Zahl der Beschäftigten, und persönlichem Bedarf arrangiert werden.
Die meisten Arbeiten werden direkt aus den Arbeitsbereichen geholt. Früher oder später beginnen die Menschen dann, auch direkt in diese Arbeitsbereiche zu gehen, um sie auszuprobieren. Als Nächstes macht man in ausgewählten Bereichen Praktika, um entscheiden zu können, in welchem Arbeitsbereich man langfristig arbeiten möchte.
DER ARBEITSBEREICH
Sobald eine Person bereit ist, wechselt sie in einen der Arbeitsbereiche, um dort langfristig zu arbeiten. Dies ist auch die Phase, in der Versuche gemacht werden sollten, in reguläre Jobs zu wechseln.
WAS ICH AN MEINER WERKSTATT MAG
EIN SICHERER ORT
Ich habe dies bereits in TEIL 1 – ÜBERSICHT erwähnt und es trifft definitiv auf mich zu: meine Werkstatt ist ein sicherer Ort. Wenn ich dort bin, weiß ich, dass ich ich selbst sein kann, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Sie ist ein Ort, wo ich viel über mich selbst und meine Bedürfnisse lernen kann. Sie ist auch ein Ort, an dem ich sicher experimentieren kann.
STRUKTUR
Ich brauche Struktur. Aber es ist mir oft unmöglich, sie mir selbst aufzubauen, oder sie aufrechtzuerhalten. Struktur kann eine Quelle von Druck werden, weil ich oft zu krank bin, um mich an sie zu halten. Dann fühle ich mich unter Druck gesetzt, weil man Regeln folgen muss. Es ist kompliziert.
In meiner Werkstatt wird mir Struktur vorgegeben und ich werde bei der Aufrechterhaltung unterstützt. Ich arbeite teilzeit, also habe ich in der ersten Tageshälfte Struktur und kann dann in der zweiten Hälfte selber Struktur schaffen (oder auch nicht). Das ist für mich ein gutes Gleichgewicht zwischen Struktur und Freiheit.
DAS PERSONAL
Wann immer ich ein Problem habe, es ist jemand da, bereit mir bei der Lösung zu helfen. Wann immer ich ein Anliegen habe, wird es ernst genommen und wenn möglich erfüllt.
Ich habe bereits in TEIL 2 – BEHINDERTENWERKSTÄTTEN UND AUTISMUS erwähnt, dass das Personal in Werkstätten nicht gut über Autismus informiert ist und meine Erfahrung bestätigt dies. Das Personal, mit dem ich bisher zu tun hatte, war jedoch immer bereit, sich von mir informieren zu lassen und hat stets versucht, meine Bedürfnisse zu verstehen und Anpassungen vorzunehmen.
ANPASSUNGEN
Anpassungen sind akzeptiert, gefördert, und die Basis für alles in meiner Werkstatt.
Ich…
…bekomme einen Einzeltransport zur Werkstatt.
…arbeite nur teilzeit.
…kommuniziere hauptsächlich via AAC.
…habe jeden Morgen ein kurzes Treffen mit meinem Chef, der mir erklärt, was an dem Tag passiert, ob es Veränderungen gibt, usw.
…habe meinen eigenen Arbeitsplatz im hinteren Teil des Raums.
…darf meinen Arbeitsplatz jederzeit verlassen, ohne jemandem Bescheid zu geben, um in den Ruheraum oder nach draußen zu gehen.
…habe beim Mittgessen meinen eigenen Platz, vom Hauptessensraum abgrenzt.
…habe eine Magnetwand für Dinge wie Termine, den aktuellen Essensplan, und den Arbeitsplan
…benutze Gehörschutz, Sonnenbrille, und Mütze. Ich kann einen Film auf meinem iPad mini abspielen und mit Kopfhörern zuhören, um die Raumgeräusche zu übertönen.
…habe eine Wasserflasche an meinem Arbeitsplatz, damit ich visuell ans Trinken erinnert werde.
AUSFLÜGE
Hin und wieder organisiert meine Werktatt Ausflüge. Meine Chefs fahren unsere Gruppe mit dem Gruppenbus irgendwohin und wir machen etwas zusammen, beispielsweise ins Museum gehen. Ich weiß das sehr zu schätzen.
Ich habe kein Sozialleben, keine Freunde, mit denen ich mich treffen kann usw. sodass diese Ausflüge wirklich helfen, mich weniger einsam und isoliert zu fühlen. Sie erlauben mir, in sicherem akzeptierendem Rahmen unter Leute zu kommen.
WAS ICH AN MEINER WERKSTATT NICHT MAG
AUSBEUTUNG
Ich möchte arbeiten, um Geld zu verdienen, damit ich finanziell unabhängig sein kann. Das ist etwas, das niemals passieren wird, solange ich in meiner Werkstatt arbeite. Ich finde es auch sehr schwierig, die extremen negativen Effekte zu rechtfertigen, die die konstante Reizüberflutung auf meinen Körper hat, während ich noch nicht einmal Mindestlohn bekomme.
FEHLENDER SINN
Die Arbeiten, die ich in meiner Werktatt tue, geben meinem Leben keinen Sinn. Ich mache einige von ihnen kurzzeitig gerne, weil sie einigen meiner autistischen Bedürfnisse entgegen kommen (wie Wiederholung und Gleichheit). Aber sie erfüllen mich persönlich in keinster Weise. Es ist nur seelenlose Arbeit, um die Zeit herum zu bringen.
KEIN WECHSEL AUF DEN ERSTEN ARBEITSMARKT
Ich versuche seit Monaten, in einen regulären Jo zu wechseln. Bisher hat sich so gut wie gar nichts getan. Es gab Gespräche mit meinen Chefs, aber es gibt keine passenden Plätze für mich. Kurz gesagt, ich stecke fest.
ANPASSUNGEN
Ja, dieser Punkt gehört sowohl in die Mögen wie ich die Nichtmögen Kategorie. Das liegt daran, dass ich eigentlich einen Einzelraum bräuchte. Leider ist in meiner Werkstatt keiner vorhanden und der Großraumplan ist für mich schlicht nicht zugänglich.
Ich habe vorgeschlagen, Heimarbeit auszuprobieren, weil ich glaube, dass dies auch das ist, was ich langfristig bei einem regulären Jo brauche. Aber wie bereits in TEIL 1 – ÜBERSICHT erwähnt, wird dies von Werkstätten nicht angeboten.
FAZIT
Ich liebe meine Werkstatt. Aber sie ist für mich immer noch nicht zugänglich und ich kann von meinem Verdienst dort nicht leben.
Bekäme ich Mindestlohn und einen Einzelraum, könnte ich mir vorstellen, die 20 Jahre, die ich bis zur Rente arbeiten müsste, dort zu arbeiten, aber so wie es aktuell ist kann ich das nicht. Das macht mich unglaublich traurig, weil ich es eigentlich dort mag und weil ich ohne die Werkstatt nach aktuellem Stand nichts habe. Nichts.
Der nächste Beitrag dieser Serie ist TEIL 4 – ARBEITSBEISPIELE.
Der gesamte Inhalt dieser Serie:
TEIL 1 – ÜBERSICHT
TEIL 2 – BEHINDERTENWERKSTÄTTEN UND AUTISMUS
TEIL 3 – PERSÖNLICHE ERFAHRUNG
TEIL 4 – ARBEITSBEISPIELE
TEIL 5 – SOLLTEN BEHINDERTENWERKSTÄTTEN ABGESCHAFFT WERDEN?
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